In ihrer Vielschichtigkeit, sei es in Form, Material oder Thema, verfolgt die Kunst letztlich immer ein Ziel: die Auseinandersetzung mit der Welt, die sie umgibt. Kunst will ein lebendiges Bild dieser Welt zeichnen – ein Bild unserer Leidenschaften und ein Bild unseres Elends, ein Bild von Sehnsüchten und Ängsten, von Liebe und Einsamkeit. Die Welt, in der wir uns bewegen, ist unendlich komplex – die Kunst versucht, in dieser Unüberschaubarkeit Zusammenhänge zu finden und Beziehungen herzustellen.
Sie will Bruchstücke der Welt anders und neu verstehbar machen: lesbar, sichtbar, hörbar, fühlbar. Der künstlerische Prozess macht, wenn er gelingt, das Reale, das wir im Alltag selbstverständlich hinnehmen, erst im eigentlichen Sinne real: fassbar und anschaulich. Kunst löst sich vom Glück oder Unglück der Dinge, um durch die Arbeit an ihnen desto tiefer in das Gesehene einzutauchen, dessen inneren Kern sie zur Anschauung bringen muss. Dieser Prozess hat also stets zwei Seiten, die der Abkehr von den Dingen und die der innigen Hinwendung zu ihnen.
Dabei fließt eine Fülle an Gedanken und Gefühlen ein, zu denen der Künstler dasselbe ambivalente Verhältnis hat: Seine Arbeit muss das, was er fühlt, verdichten, ordnen, fokussieren und zugleich doch in der Dinglichkeit des Geschaffenen wieder zerstreuen, loslassen, aufblättern, der Eigenlogik des Kunstwerks überlassen, das eben keine These vertritt und keine Erklärung ausspricht, sondern, einmal fertig gestellt, in sich gekehrt, rätselhaft wird, vom Künstler selbst abgewandt.
In der Formulierung des Künstlers findet die Sache, das Ding oder das Subjekt, dass seinen Ursprung in der Wirklichkeit der Welt hat und im Arbeitsprozess durch die Person des Künstlers hindurchgegangen ist, eine autarke Form, in der es weder dem Künstler noch der alltäglichen Realität gehört, sondern nur sich selbst. Allein auf diese Art und Weise kann es Kunst gelingen, Lebenswirklichkeit zu hinterfragen.
Körper sind definiert durch ihre Grenzen, und die Grenze ist immer ein Schnitt in die Wirklichkeit. Körper ohne Grenzen gibt es nicht, der Körper ist damit immer auch eine Verletzung, ein Schnitt – eingekerbt in die Wirklichkeit und selbst eine Kerbe.
Jede Berührung, die scheinbar das Reale des Körpers erfasst, hinterlässt zudem eine solche Kerbe im berührten Ding, und sei sie noch so unmerklich – die Berührungen des Realen kerben sich selbst in dieses ein, bearbeiten es, verletzen es noch im Prozess der Wahrnehmung und formen die scheinbar unabhängige Natur des wahrgenommenen Körpers mit.
Körper und ihre Wahrnehmung sind undenkbar ohne Einkerbung, Berührung ist undenkbar ohne Verletzung, Zärtlichkeit untrennbar von Destruktion – all dies jedoch gilt auch umgekehrt. Diese verletzende und verletzliche Ordnung der Dinge, die zugleich eine Unordnung ist, ein Prozess und insofern auch: eine Um-Ordnung, wird sowohl in den Arbeiten von Katharina Graf, als auch in jenen von Sandra Rosenstiel neu formuliert, oder besser:
Sie lässt sich in diesen Arbeiten neu wahrnehmen.
Ausgehend von den Formen und Strukturen der Pflanzen,- Tier und Menschenwelt, entstehen in zwei sehr unterschiedlichen Arbeitsmethoden – die eine steht dem Naturalismus näher, die andere arbeitet abstrakter – Bilder, die den uns bekannten Kosmos in seiner ganzen, fremdartigen Eigengesetzlichkeit, als ein sonderbar faszinierendes Ding distanziert und zärtlich zugleich betrachten.
Dieser Kosmos ist ganz und gar real und entzieht sich doch allen bekannten Regeln der Alltagsrealität. Die Arbeiten von Katharina Graf und Sandra Rosenstiel erzählen auf ganz unterschiedliche Art und Weise von der Sehnsucht nach Verstehen und der Unerfüllbarkeit dieses Verlangens.