1714 wurden die Steinkohleflöze im Hettberg zum ersten Mal „aktenkundig“. Seitdem entwickelte sich im Grubenfeld der Zeche Nachtigall ein Bergwerk, das für die Industrialisierung der Region eine wichtige Rolle spielte und in Gestalt des Besucherbergwerks bis heute fortlebt. Die Ausstellung erinnert an die Goldgräberstimmung von einst und macht die verlorenen Räume im, um und unter dem Hettberg erfahrbar. Sie zeigt Bilder vom Geschehen aus drei Jahrhunderten – unter wie über Tage. Das Spektrum der Exponate reicht vom ältesten erhaltenen Förderwagen des Ruhrgebiets bis zu einer digitalen Rekonstruktion des Grubenfeldes unter der Zeche Nachtigall.
Fünf „Themeninseln“ führen die Besucher durch 300 Jahre Bergbaugeschichte. „Wir wollten die Zechengeschichte von den ersten Anfängen bis heute zeigen“, erklärt LWL-Museumsleiter Michael Peters. „Auch unser Besucherbergwerk steht noch in Verbindung mit Stollen aus den vergangenen Jahrhunderten“.
140 Reichstaler – das war die Summe, für die Freiherr Friedrich Christian Theodor von Elverfeldt im Jahr 1743 einigen Bauern ihre Anteile am Feldbesitz im Bereich des Hettbergs abkaufte. Ein gutes Geschäft: Bis zum Ende des Jahrhunderts sollte sein Nachfahre Freiherr Levin von Elverfeldt Anteile von insgesamt 39 Bergwerken entlang der Ruhr besitzen. Zeitgenössische Landschaftsbilder und Abbildungen, die die adeligen Zechenbesitzer in repräsentativer Kleidung zeigen, führen die Besucher zurück ins 18. Jahrhundert. Nach dem gemalten Vorbild hat das LWL-Industriemuseum zwei Kostüme schneidern lassen.
Vorherrschende Technik des Bergbaus war in dieser frühen Zeit der Goldgräberstimmung zunächst der Stollenbau. Man trieb von der Tagesoberfläche aus waagerechte Stollen in einen Berg. Der Zugang dieser Stollenzechen erfolgte über die sogenannten Mundlöcher, den Ausgang ins Freie. Einige davon sind noch heute im Muttental zu sehen.
1832 begann das Abteufen des ersten Tiefbauschachts der Zeche Nachtigall. „Das ist langersehnt worden und war trotzdem noch ein offenes Experiment“, erklärt Peters. Es gelang schließlich dank der von der Maschinenbauanstalt Friedrich Harkort in Wetter gebauten Dampfmaschinen, der innovativen Technik in der Frühindustrialisierung. Sie bewältigen die starken Wasserzuflüsse. Zwei weitere Schächte folgen: Hercules 1839 und Catharina 1845. Die Zeche expandierte auch dank erfinderischer Mitarbeiter und gehörte Mitte des Jahrhunderts mit etwa 500 Beschäftigten zu den größten Zechen des Ruhrgebiets.
An die Blütezeit des Bergbaus erinnert der älteste Grubenwagen des Ruhrgebiets, der in Witten erstmals außerhalb des Bergbaumuseums Bochum gezeigt wird. Er wurde 1922 in einem Stollen der Zeche Vereinigte Engelsburg (Bochum) gefunden und ist aufgrund seiner Bauart in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zu datieren. Spannend auch zahlreiche Exponate aus der Sammlung von Hans-Jürgen Rothärmel, der von 1956 bis 1964 als Bergmann auf Kleinzechen in Sprockhövel gearbeitet hat. Akribisch suchte er die Plätze ehemaliger Zechen ab und förderte zahlreiche Fundstücke aus Eisen und Stahl zu Tage. „Sie gingen vermutlich ihren ursprünglichen Besitzern im bergigen Gelände verloren. Die hölzernen Stiele verfaulten im Boden, das Metall blieb, teils stark verrostet, erhalten. Da verschlissene Werkzeuge auch als Schrott noch wertvoll waren, sind derartige Funde selten“, so LWL-Museumsleiter Peters.
Neue Wege zum Transport waren die Voraussetzung für einen besseren Absatz der nun massenhaft geförderten Kohlen. Bereits im 18. Jahrhundert war die Ruhr durch den Bau von Schleusen bis zum Rhein schiffbar geworden. Erst die Ruhrtalbahn, die direkt an der Zeche vorbeiführt, ermöglichte seit 1874 eine Direktverladung der Kohle in Eisenbahnwaggons. Alte Frachtbriefe, Gemälde und Modelle machen diese Ära in der Ausstellung anschaulich.
Ein Highlight der Ausstellung ist die digitale Animation der Unterwelt von Zeche Nachtigall. Auf der Basis von Karten und weiterem Archivmaterial hat das LWL-Industriemuseum gemeinsam mit Spezialisten des Münsteraner Büros „maßwerke“ die Unterwelt der Zeche Nachtigall zu verschiedenen Zeiten rekonstruiert. Die Bildschirmdarstellung zeigt ein weit verzweigtes Netz von Schächten und Gängen, die das Abbaugeschehen unterhalb des Hettbergs in den drei Flözen Geitling, Kreftenscheer und Mausegatt verdeutlichen. Auch die Lage des heutigen Besucherbergwerks ist zu erkennen. Im Gegensatz zu statischen Abbildungen, die eher an den sprichwörtlichen Schweizer Käse erinnern, zeigt das digitale Modell ein anderes Bild: „Bergbau findet nicht gleichzeitig an allen Orten statt, sondern ist ein dynamischer Prozess. Während an einer Stelle neue Abbaufelder erschlossen und abgebaut werden, sind bereits abgebaute Flözteile nicht mehr von Interesse und werden verlassen. So werden zugleich Strukturen und Vorgehensweisen im Bergbau in neuer Form erkennbar“, erklärt Dr. Olaf Schmidt-Rutsch, beim LWL-Industriemuseum zuständig für das Projekt.
Im Muttental beginnt der „Strukturwandel“ bereits 1892 mit der Stilllegung der Zeche Nachtigall. Der Bauunternehmer Wilhelm Dünkelberg ließ einen Teil der Zechengebäude abreißen und gründete auf dem Gelände eine Schieferton-Ziegelei. Zur Gewinnung des Rohstoffs ließ er zwei neue Stollen in den Hettberg schlagen, von denen einer – der heutige Nachtigallstollen – den Berg vollständig durchquerte. Der andere – der heutige Dünkelbergstollen – endete zunächst mitten im Berg, am noch nicht vollständig abgebauten Kohleflöz Geitling. Unter dem Druck der „Kohlennot“ als Folge des Ersten Weltkriegs nahm Dünkelberg 1921 mit drei Mann Belegschaft das Bergwerk „Vereinigte Nachtigall“ wieder in Betrieb. Es hatte offiziell bis 1947 Bestand und förderte über diesen Zeitraum rund 5000 Tonnen hochwertige Kohle aus den Flözen im Hettberg. Nach Einstellung des Untertage-Bergbaus wurden die Stollen verschlossen. Nur der Nachtigallstollen blieb als Transportweg für den Schieferton bis zur Einstellung des Ziegeleibetriebs 1963 offen.
Seit 1984 bauen Fachleute des LWL-Industriemuseums, der Stadt Witten, des Fördervereins Bergbauhistorischer Stätten und verschiedener Bergbaufirmen im Hettberg das „Besucherbergwerk Nachtigall“ auf. Die Ausstellung „Vorstoß ins Ungewisse“ zeigt erstmals Bilder der schwierigen Aufwältigung (Ausräumen und Absichern) des Dünkelbergstollens sowie einen Kurzfilm des Dokumentarfilmers Christoph Hübner, der 2008 die Sicherung eines zusammengestürzten Stollenabschnitts begleitet hat.
Unterstützt wurde die Ausstellung in Witten von der NRW-Stiftung. „Regionale Traditionen und damit ein Stück Heimat zu bewahren und für künftige Generationen lebendig zu halten, ist eines der wichtigsten Ziele, denen sich die NRW-Stiftung verpflichtet fühlt. Deshalb haben wir das Ausstellungsprojekt des LWL-Industriemuseums gerne unterstützt“, erklärte Geschäftsführerin Martina Grote.