09.11.2009 - 10.04.2010
Zurück Im Rahmen dieser Ausstellung werden insgesamt 110 Fotoreproduktionen gezeigt von „Schnappschüssen“, die zwischen 1991 und 2009 in 64 Ortschaften der „Neuen Bundesländer“ gemacht worden sind. In der Zusammensetzung der Aufnahmeorte spiegelt sich die Topographie der DDR wider: Relativ wenige Großstädte sind darunter, dafür viele Kleinstädte. Hinzu kommen als touristische Anziehungspunkte bekannte Plätze inmitten traditioneller Urlaubs- und Erholungsgebiete, aber auch zu Industriebrachen gewordene Produktionsstätten und Dörfer mit ihren stillgelegten LPG-Betrieben in dünn besiedelten Regionen, die weitab vom Getriebe unserer (post-)modernen Zivilisation liegen.
Die Reisen und Ausflüge, von denen M. L. diese Fotografien seit Anfang der 1990er Jahre mitbrachte, verbanden sich für ihn mit visuellen Erkundungen, bei denen er imaginäre Zeitzonen durchschritt. Was L. dabei wahrnahm, waren u .a. ambivalente Eindrücke vom rasenden Tempo und vom bleiernen Stillstand der Zeit, die er festhalten, bannen, dokumentieren wollte. Und so suchte und fand M. L. in attraktiven und banalen Milieus sichtbare Zeichen der Beständigkeit und des ständigen Wandels, die sich in der scheinbaren Fortdauer und noch mehr in der Vergänglichkeit der Dinge manifestieren. L. betrieb seine „Archäologie der Bilder“ keineswegs systematisch und zielbewusst; vielmehr ließ er sich vom Prinzip des Zufalls leiten und setzte auf das Entdeckerglück des aufmerksamen Beobachters, der als Kunsthistoriker eine gute „Schule des Sehens“ absolviert hatte. Zu den prägnantesten Motiven der fotografisch fixierten Wahrnehmungssplitter, die zwischen dem Augenblicklichen und der Anmutung von Ewigkeit oszillieren, wurden für M. L. die dinglichen Hinterlassenschaften der DDR-Gesellschaft im öffentlichen Raum. Dazu gehören vornehmlich die im Land „zwischen Fichtelberg und Kap Arkona“ einmal allerorts anzutreffenden Hoheits- und Ehrenzeichen, Embleme, Hinweisschilder, Produkt-Werbesymbole und zwischen 1949 und 1989 entstandenen Denkmale. Neben den unvermeidlichen Fahnen, Transparenten und Parolen bildeten sie ein für die DDR typisches Zeichensystem und bestimmten so das „graue Alltagsbild“ im ersten und letzten „Arbeiter- und Bauernstaat“ auf deutschen Boden. Die Fotos zeigen z. B. an Gebäudefassaden, auf Denkmalsockeln und Straßenschildern die Namen sowie Konterfeis von Karl Marx und anderen „Klassikern“ oder den symbolträchtigen „Roten Stern“ wie auch die einst omnipräsenten Embleme von Parteien und „Massenorganisationen“. Hinzu kommen die populären „Logos“ von Einrichtungen der staatlichen Handelsorganisation (HOs und HOGs) und des KONSUM in unterschiedlichsten Varianten der formellen Umsetzung und Anbringung. Auch einstmals Respekt gebietende Hinweise auf Autoritäten und Vertreter der Staatsmacht reihen sich in die Folge der ausgestellten Aufnahmen ein (z. B. zu einem „Abschnittsbevollmächtigten“). Ebenso vertreten sind die Motive, welche vom regen, staatlich organisierten (und auch kontrollierten) Kulturleben und den Freizeitvergnügungen der Bürger in der DDR zeugen, etwa Fotos vom Baudekor und von den Inschriften an ländlichen Kulturhäusern. Manches, was entweder reine Information war, der Produktwerbung diente oder als politische Agitation, ideologisches Bekenntnis und flammender Appell mit Schriftzügen, aus Billigmaterial seriell gefertigt bzw. in nobler kunstgewerblicher Ausführung an Emblematik, Ladenschildern und Werbeträgern zu sehen ist, wird manchen noch heute etwas sagen; vieles dürfte aber selbst schon jene vergessen haben, die auch einmal DDR-Bürger gewesen sind. So ist etwa der „Goldbroiler“ als eine Säule ostdeutscher Gastronomie auch heute noch populär. Dass es aber im realen Sozialismus auch „Schnellgaststätten“ und „Tempo-Ecks“ für eine noch flexiblere „Grundversorgung“ gab, wird sicherlich den meisten Menschen mit „DDR-Hintergrund“ nicht mehr gegenwärtig sein.
M. L. hat mit diesen DDR-Relikten, von denen manche schon zu raren historischen Sachzeugen geworden sind, deren partielle Demolierung, Verfremdung sowie Sinn- und Funktionsverlust zusammen mit den unterschiedlichsten Stufen ihres Verfalls im Verlauf von rund 20 Jahren dokumentiert. Darin besteht die zeitgebundene wie auch zeitlos aktuelle Dimension dieser „Schnappschüsse“ Von „Ostalgie“ kann hier nicht die Rede sein, zumal bei vielen Aufnahmen der Drang zum Ausdruck kommt, das Kuriose, Skurrile und Abstruse dieser antiquierten DDR-Hinterlassenschaften und dinglichen Arrangements zur Anschauung zu bringen. Da verbindet sich auf manchen Fotos ein Zug zum Humoristischen oder Ironischen mit einer latenten Melancholie, was eher der schlichten Erkenntnis „Alles ist vergänglich“ auf simple und unspektakuläre Weise Ausdruck verleiht, als das diese Bilder einen kritischer Kommentar zur jüngsten Zeitgeschichte liefern. Diese fotografischen Reproduktionen sind auch nicht nach künstlerischen Kriterien und mit dem Bestreben nach handwerklicher und technischer Perfektion entstanden. Trotzdem verfügen nicht wenige von ihnen über ästhetische Qualitäten. Die Zusammenstellung und Anordnung der Aufnahmen in Gruppen bzw. Sequenzen von vier bis zwölf Reproduktionen erfolgte zudem nicht allein nach thematischen und inhaltlichen Gesichtspunkten, sondern auch nach sensuellen ästhetischen Vorgaben.
Wer auf unterhaltsame Art erfahren will, wo und wie die DDR heute noch im öffentlichen Raum wahrzunehmen ist, mit welchen Sachzeugen ihr Alltag auch weiterhin sichtbar präsent ist und dies nicht museal aufbereitet und wohl konserviert, sondern im authentischen Kontext, dem sei die Ausstellung des Vineta-Museum in Barth empfohlen.