03.04.2011 - 03.07.2011
Die flämische Künstlerin Berlinde De Bruyckere (*1964), die in Gent lebt und arbeitet, fällt in der zeitgenössischen Kunst auf durch die emotionale Intensität ihres Werkes. In ihren Skulpturen formuliert sie vor dem Hintergrund der Geschichte und tradierter christlicher Bildmotive ein aktuelles, ein erschüttertes und erschütterndes Menschenbild, in dem sich Leid, Verstümmelung und Gebrochenheit abzeichnen. Angesichts der Verschärfung von Gewalthandlungen und Katastrophen, des Fortschreitens der medizinischen Möglichkeiten, der zunehmenden Dominanz mediengenerierter Prozesse erlangen diese Bilder vom Menschen heute eine ethische Relevanz, die jeden Einzelnen, aber auch die Gesellschaft insgesamt herausfordert. Berlinde De Bruyckere lässt durch die Präsenz ihrer Skulpturen die Körper des Leidens zu einer aktuellen Frage an unsere Zeit und an unsere Auffassung von Menschlichkeit werden.
Seit Jahren fasziniert und inspiriert von den Gemälden Lucas Cranachs, dem "Maler der Reformation", und seiner Fähigkeit, im Körper geistige Prozesse zum Ausdruck zu bringen, tritt De Bruyckere mit Werken aus den letzten Jahren und neuen, eigens für diese Ausstellung geschaffenen Werken in einen Dialog mit Lucas Cranach d.Ä. und Pier Paolo Pasolini. In der gemeinsam mit der Künstlerin konzipierten Ausstellung ist ihr Dialog mit Cranach pointiert ausgerichtet auf ein dem breiten Publikum wenig bekanntes Meisterwerk, dem Schmerzensmann aus der Kirchgemeinde Wörlitz, das in dem von Leopold Friedrich Franz von Dessau-Anhalt mit einem historischen Bildprogramm ausgestatteten Gotischen Haus im Wörlitzer Gartenreich einen dauerhaften Platz gefunden hat.
Pasolinis Film Il Vangelo secondo Matteo/Das 1. Evangelium - Matthäus, ein Werk, das üblicherweise eher im Kino, denn im Museum zu sehen ist, markiert eine dritte, eine existentielle und politische Position. Pasolinis Sicht auf die Gestalt Christi in ihrer radikalen Menschlichkeit wird in der Konstellation der Ausstellung einmal mehr provozierend aktuell. Der Film tritt als Kunstwerk den Werken von De Bruyckere und Cranach gegenüber und entfaltet in einem ganz anderen Kontext als sonst üblich seine Bildkraft. Ein Programm mit ausgewählten Filmen von Pasolini, die das Körperliche als bis in archaische Tiefen reichende menschliche Gegebenheit befragen, vertieft diese Position.