12.02.2011 - 03.04.2011
Nein, verramschen wollen wir unsere Sammlung nicht! Vielmehr soll der Titel anzeigen, dass wir tatsächlich alle Werke aus dem Depot holen und alles dicht an dicht, bis an die Decke, neben- und übereinander (sogenannte "Petersburger Hängung") in den Ausstellungsräumen des Städtischen Kunstmuseums Singen präsentieren. Zugleich spielt der Titel darauf an, dass wir alles - nicht nur unsere Hauptwerke, sondern auch Zweitrangiges - ausheben und den Besuchern vor Augen stellen wollen. Wir legen also die Karten auf den Tisch.
2009 zeigte das Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen seine Ausstellung "alles". Das Haus am Rhein läutete mit dieser mutigen Bilanz einen Neustart ein. Die Diskussion um das ungewöhnliche Ausstellungskonzept entzündete sich an der Frage, ob ein Museum mit seinen Beständen experimentell umgehen dürfe oder damit deren Deutung und Interpretation aus der Hand gebe? Damals schon war dieser Diskurs eingebettet in die aktuelle Diskussion um die Zukunft des Sammlungsaufbaus und dessen Ausbau, die Pflege bestehender Sammlungen, aber auch um die zeitgemäße Präsentation und Kunstvermittlung in jenen Museen, die von der öffentlichen Hand getragen werden. Im eigenen Haus haben wir wiederholt über das Ludwigshafener Experiment, "das die Neugier und den Stolz auf die eigenen Sammlung weckte, zugleich aber auch die Arbeit des Museums für das Publikum transparenter machte", diskutiert. Nun, ein Jahr nach unserem Jubiläum - 20 Jahre Städtisches Kunstmuseum Singen - greifen wir sie auf. Es ist unser Ziel, das Gespräch mit unserem Publikum, den Singener Bürgern und den Vertretern der Politik, den Künstlern und Interessierten über den Umbau des Museums, aber auch über den Ausbau der Sammlung sowie die Notwendigkeit weiterer Ankäufe fortzusetzen. Auch in Singen konnte man immer wieder einmal hören, das Museum verberge einen Teil seiner "Schätze". Diese Kritik war für uns ein letzter Auslöser, das Experiment in Singen zu wagen.
Neben dem Ermöglichen, Bewahren, Erforschen und Vermitteln von Kunst gilt das Sammeln als die vornehmste Aufgabe eines Museums. Was aber bedeutet das für den Besucher eines Museums bzw. für den Bürger einer Stadt, die ein Museum unterhält? Was unterscheidet eine Sammlung von einer bloßen Ansammlung? Wann und wie wird aus einem Objekt, das einfach nur "da" ist, ein Kunstwerk, das sich in das Ganze einer Sammlung einfügt? Muss es so etwas wie einen roten Faden, ein Konzept, geben? Welche Ordnung und innere Struktur verleiht einer Sammlung zusätzlichen Wert und Sinn? Und was muss getan werden, damit eine Sammlung ihren - materiellen wie ideelen - Wert behält; lebendig bleibt?
Das Experiment, mit dem wir auf solche Fragen reagieren und diese zugleich an unsere Besucher weitergeben möchten, heißt: "ALLES MUSS RAUS. Die ganze Sammlung". Sicher, wir muten Ihnen einiges zu. Wir setzen Sie, ohne weitere Information, einer Fülle von Kunstwerken aus. Zugleich aber vertrauen wir auf Ihre Augen, Ihre Neugier, Ihre Kritikfähigkeit und Ihre Erfahrungen im Umgang mit Kunst. Wir, die Mitarbeiter des Museums, tun dies im ersten Kontakt mit den Sammlungsbeständen im eigenen Haus auch: Was bzw. welche künstlerischen Qualität(en) sehe ich? Was verdient weitere Erforschung und besondere Pflege? Was zählt zum Kernbestand der städtischen Sammlung - und was nicht? In welche Richtung soll es weitergehen? Wo liegen Chancen, Entwicklungsmöglichkeiten und Potentiale für die Zukunft? Aber auch umgekehrt: Was wurde versäumt? Wo sind bzw. wo sehen Sie persönlich Lücken?
Versprechen können wir Ihnen beim Besuch der Ausstellung: einen überraschenden, kurzweiligen Gang durch die Kunstgeschichte in Singen und am See von 1933/47 bis heute, die Wiederbegegnung mit alten Bekannten, die eine oder andere Entdeckung, die Lust an der Erfahrung im Umgang mit Kunstwerken unterschiedlichster Art...
Alleine wollen wir unsere Besucher dabei nicht lassen. In mehreren Begleitveranstaltungen, die das Museum in einen Ort des Zusammenkommens und des Gesprächs verwandeln, suchen wir den Dialog. Sie dienen nicht zuletzt der vertieften Diskussion über die Zukunft des Städtischen Kunstmuseums Singen.