Mit Boris Mikhailov ehrt die Stiftung Niedersachsen einen der herausragenden Fotografen der Gegenwart. Anlässlich der Verleihung des renommier-ten »SPECTRUM«-Preises zeigt das Sprengel Museum Hannover im Frühling 2013 die Ausstellung BORIS MIKHAILOV. DIE BÜCHER. 1968-2012.
Es ist die bislang umfangreichste Retrospektive des Künstlers: Rund 20 Bildzyklen von Mikhailov stellen ihn erstmals explizit als ‚Büchermacher‘ vor, als jemanden, der sein Werk in Buchform denkt und entwickelt.
1938 in Charkow (Ukraine, ehemals UdSSR) geboren, gilt Boris Mikhailov als Chronist der Geschichte seiner Heimat. In umfangreichen Bildzyklen widmet er sich dem Alltag in der sowjetischen bzw. postsowjetischen Ge-sellschaft. Auf Straßen, am Strand, bei Tanzveranstaltungen – Mikhailov fotografiert überall dort, wo Gesellschaftliches im Privaten und Privates im Gesellschaftlichen sichtbar wird.
Die Fotografien werden zum Material, von dem aus Mikhailov das Gemeinwesen hinterfragt und die Bedingungen für menschliche Existenz untersucht. Die eigene Biografie dient dabei häufig als Referenz: Der Akt des Fotografierens und die darin verborgenen Machtverhältnisse werden reflektiert.
Pop-Status erfährt Boris Mikhailov in der UdSSR der ausgehenden 1970er-Jahre u. a. mit der Installation Yesterday's Sandwich / Superimpositions (1968-1975), in der er jeweils zwei Diapositive übereinanderlegt, projiziert und sie mit Musik von Pink Floyd unterlegt. Die Vielzahl der Überlagerungen von Zeichen, Farben und Formen bietet eine nahezu psychedelische Sinneserfahrung, in der Intimes, Privates und Öffentliches nicht mehr voneinander zu trennen sind. Nach mehr als zwei Jahrzehnten wird diese Diashow nun wieder zu sehen sein.
Die Arbeit in umfangreichen Serien und in Buchform stellen bei Mikhailov auch Stategien dar, einer normativen Wahrheit entgegenzuwirken. Seit den frühen 1980er-Jahren kommt die Arbeit mit der Schrift dazu und neuerdings – in Hannover erstmalig zu sehen – auch die Arbeit mit der Zeichnung. Die in der UdSSR existierenden restriktiven Formen von Öffentlichkeit führen dazu, dass die Arbeit am originalfotografischen Buch ins Zentrum rückt. Das leicht zu transportierende Buchobjekt, das anderenorts mit Freunden diskutiert und schnell auch mal vor unbefugten Augen vorborgen werden kann, ist – bis gegen Ende der 1980er-Jahre – die finale Werkform.
Das Besondere an Mikhailov als ‚Büchermacher’ ist, dass er die Fotografie in Sequenzen und Abfolgen, in Zwischenräumen und Schnitten, in den For-men der Montage denkt und entwickelt. In der Zusammenschau ergeben die häufig nur in einem Exemplar existierenden originalfotografischen Bücher und Buchentwürfe eine Retrospektive ganz eigener, intimer Art. Darüber hinaus werden ausgewählte Arbeiten im großen Format präsentiert.