07.06.2007 - 03.09.2007
Erstmals widmet sich eine Ausstellung im Schwulen Museum dem eigenständigen Beitrag einiger schwuler Fotografen zur Geschichte der künstlerischen Aktfotografie im Zeitraum 1940 bis 1969. In den USA wurde seit Ende der 1930er Jahre der Kraftsport, die Physique Bewegung oder das Bodybuilding zu einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend. Zu seiner Propagierung entwickelte sich eine neue Art der fotografischen Abbildung, der Präsentation der Modelle bei Wettkämpfen und in Zeitschriften, an der die Homosexuellen federführend beteiligt waren. Sie gestalteten das Posieren der Modelle und setzten die Athleten wie Filmstars in ausgeklügelte Beleuchtungen. Sie verbanden männliche Kraft mit weiblicher Grazie. Die Fotografen hatten zumeist selbst in den Bereichen Mode, Film, Tanz oder Oper als Modelle, Tänzer oder Fotografen gearbeitet. Sie übertrugen das Artifizielle ihrer bisherigen Arbeit auf das Gebiet des Kraftsportes und erreichten eine neuartige Symbiose. Die Welt des Sports verband sich mit dem künstlerischen Geschmack und Wissen gebildeter homosexueller Ästheten auf der Suche nach männlicher Schönheit und Vollkommenheit. Vollkommenheit meint dabei durchaus einen Ausgleich widerstrebender Kräfte, die Verbindung von Ying und Yang, von männlich und weiblich, von Kraft und Schwäche, von Anspannung und Entspannung, von Herrschen und Dienen, von Apollinisch und Dionysisch, von Klarheit und Sinnlichkeit. Als Choreographen des Bodybuildings betätigten sich die schwulen Fotografen in ihrer traditionellen gesellschaftlichen Funktion eines Katalysators, als Zaubermeister der Verwandlung, der Anverwandlung, des Lebens im Untergrund, der Mimikry, der heiligen Schamanen und Bewahrer des Wissens um die Hintergründe der Vollkommenheit. Sie gestalteten ihre Fotografien frei nach dem Song von Jane County, alias Wayne County, den sie um 1980 auch in Berlin sang: Are you man enough to be a woman! Are you woman enough to be a man!
Bereits in den 1930er Jahren waren Edwin Townsend, Al Urban, Gebbé, Lon of New York, Spartan und Kovert of Hollywood an der Herausbildung des Genres der Kraftsport-Fotografie in den USA beteiligt. Einen neuen Schwung bekam diese Entwicklung nach 1945 durch eine jüngere Generation von Künstlern wie Bob Mizer, Bruce of LA, Don Withman, Russ Warner, Douglas of Detroit und vielen mehr. Diese zumeist homosexuellen Fotografen nutzten ihre zumeist heterosexuellen Modelle als formbares Material. Deren Körper wurden gedreht, ihre Gliedmaßen verdreht, Hände und Beine gespreizt, wie Ballerinen in extreme Posen gezwungen. Die Modelle präsentierten sich und ihre Körper ohne Scheu, nicht nur ihre Muskeln, sondern auch ihre ganze Nacktheit. Sie waren sich durchaus ihrer sexuellen Präsenz bewusst. Es gelang eine Symbiose sich ergänzender Interessen nach Anerkennung, Bewunderung und erotischer Selbstverwirklichung zwischen Modell und Künstler. Homosexuelle nutzten ein Modethema wie das Bodybuilding, um sich selbst zu verwirklichen und gleichzeitig einen Beitrag für die Mainstream-Kultur zu leisten. Sie inszenierten mit heterosexuellen Körpern schwule Bildwelten in der Tradition der Lebenden Bilder. Sie beteiligten sich als Meister der Stilisierung an einem gesellschaftlich relevanten Thema, vergleichbar heutigen Künstlern, die nackte Menschenmassen dirigieren und in fotografischen Bildern festhalten.
In der Ausstellung werden auch die Vorläufer der Aktfotografie in Europa seit 1900 in zentralen Stücken beleuchtet: Arbeiten von Wilhelm von Gloeden, die Ballet Russes, der deutsche Ausdruckstanz der 1920er Jahre, Kraftakrobaten um 1900, Michelangelos Ignudi in der Sixtinischen Kapelle, Akademische Akte, weibliche Filmstars und Pinups, deutsche Sport- und Freikörperkulturbewegung, Hirschfelds Theorie der sexuellen Zwischenstufen, Bilder von Damenimitatoren und Transvestiten, Winckelmanns Schwärmereien vor griechischen Skulpturen, Fotografien aus dem Umfeld der deutschen Schwulenbewegung 1897 bis 1933.
Einen Höhepunkt der Stilisierung in der amerikanischen Bodybuilding-Fotografie stellen um 1950 die Bilder von Berührungen zwischen zwei Männern dar. Es werden Szenen des Wettkampfes, des Ringkampfes zwischen Athleten so inszeniert, dass sie zu Metaphern schwuler Liebe werden. So wie traditionell in der Kunst körperliche Nähe zwischen Männern oftmals nur in einer Kampfsituation dargestellt werden konnte, so nutzen die Fotografen jetzt das Genre, um es in ihrem Sinne zu erweitern. Durch den angeblichen Kampf werden Berührungen möglich, die in ihrer erotischen Direktheit eindeutig sind, aber auch auf die Prüderie der Zeit verweisen. Hatte es während des Zweiten Weltkrieges eine Aufweichung gesellschaftlicher Normen in vielerlei Hinsicht gegeben und gleich nach 1945 auch ein zaghaftes Coming out schwuler Selbstorganisation in den USA, so kam es in der McCarthy Ära zu enormen Rückschritten. Einen Skandal stellten die Forschungen von Alfred Kinsey dar, die 1948 veröffentlicht wurden. So sollten über ein Drittel der amerikanischen Männer im Verlaufe ihres Lebens auch homosexuelle Erfahrungen gemacht haben. Der Prozentsatz der homosexuellen Männer wurde mit 10 Prozent angegeben.
Trotz oder gerade wegen der gesellschaftlichen Rückschritte und zunehmender Zensur entwickeln einige der schwulen Fotografen seit der Mitte der 1950er Jahre die schwulen Inhalte ihrer Bilder weiter. Das Sexuelle wird zum genuinen Bestandteil der Kunst und zum Spiegel der Gesellschaft. Die Einheit von Körper, Geist, Seele und Sexualität wird wiedererweckt. Die Schönheit sexueller Erregung und Verschmelzung wird wie z.B. in Teilen der indischen Kunstgeschichte, wie in der Antike oder bei Naturvölkern gelebt, inszeniert, gezeigt und abgebildet. Bei Bruce of LA handelt es sich zumeist um statische Aufnahmen sexueller Erregung einzelner Modelle, bei Bob Mizer um ganze Inszenierungen von Handlungsabläufen in kleinen Filmen und Standbildern. Diese Bilder waren eine Kampfansage an die gesellschaftliche Prüderie der Zeit, also ernorm politische Bilder. Sie konnten jedoch damals nicht öffentlich gezeigt oder veröffentlicht werden.
Sie existieren heute zumeist nur in Abzügen der Zeit nach 1970, die von den originalen Negativen gemacht wurden. In der Zeit ihrer Entstehung konnten sie nur im Geheimen gezeigt und vertrieben werden. Sie sind Zeugnisse der Integration des Sexuellen in die Welt der Kunst auf hohem künstlerischen Niveau. Ohne diese Vorgänger aus den 1950er Jahren wären die Arbeiten eines Mapplethorpe und anderer schwuler Künstler nach der Befreiung 1969 nicht denkbar.
Gezeigt werden rund 200 Arbeiten von etwa 40 Künstlern aus der über 3000 Fotografien umfassenden Sammlung Sternweiler, die bisher noch nie gezeigt wurden.