06.11.2011 - 18.12.2011
Als NKVextra zeigt der Nassauische Kunstverein Wiesbaden zwei Positionen, die sich auf unterschiedliche Weise mit modernen Wanderungsbewegungen auseinandersetzen.
Dan Halter (*1977, Simbabwe) lebt und arbeitet in Kapstadt. Auf spielerische und hintergründige Weise setzt er sich mit Geschichte und Gegenwart der Länder im Süden Afrikas und seiner eigenen Identität als weißer Simbabwer auseinander. Der NKV präsentiert drei seiner Arbeiten in einer Kabinettausstellung.
RIFUGIATO MAPPA DEL MONDO (2011) ist eine Weltkarte, die von dem Simbabwischen Flüchtling Sibongile Chinjonjo aus neuen und gebrauchten Plastikreisetaschen zusammen genäht wurde. In Anlehnung an Infografiken verweisen die besonders abgenutzten Stellen auf der Karte auf Orte, an denen Menschen auf der Flucht sind. In Ghana heißen dieselben karierten Plastikreisetaschen "Ghana must go"-Bag - ein Begriff, der auf Massenabschiebungen von Einwanderern aus dem afrikanischen Land zurück geht. Als
Material für den GHANA MUST GO QUILT 1 (2011), dessen Blockmuster aus dem amerikanischen Bürgerkrieg stammt, verweisen sie über die Epochen hinweg auf die individuelle Dimension jeder Migrationsbewegung. Der Titel der Arbeit SAMIZDAT (THE THEORY AND PRACTICE OF OLIGARCHICAL COLLECTIVISM, IN THEORY) (2011)" stand in der UdSSR für die inoffizielle Verbreitung systemkritischer Literatur. Das entspricht der aufwändigen Herstellungsweise der Buchseite, die Dan Halter in einem Bilderrahmen präsentiert. Es handelt sich nicht um ein gedrucktes Blatt sondern um ein Gewebe aus feinen bedruckten Papierstreifen.
Auch Almagul Menlibayeva (*1969, Kasachstan) thematisiert ihre eigene Herkunft in ihren Arbeiten. Ihr Film EXODUS wurde in Karaganda in Zentralkasachstan gedreht. Er zeigt Nomaden, die sich auf ihren Aufbruch vorbereiten. Jurten werden abgebaut und
verpackt, Bündel geschnürt und Möbel auf Lastwagen verladen. Diese Handlung wird durch Bilder zweier Frauen durchbrochen, die sich entschlossen durch die die einsame Steppenlandschaft bewegen. Wie Flügel breiten sie ihre langen schwarzen Haare mit den Händen zu beiden Seiten aus. Als Peris, Helferinnen eines Schamanen, führen sie ein Ritual durch, das die Nomaden am Exodus hindern soll. Dennoch endet der Film mit einem großen Aufbruch: eine Karawane aus Fußgängern, Autos, Lastwagen und Pferden setzt sich langsam in Richtung Horizont in Bewegung. Nur ein kleines Mädchen, das das Geschehen regungslos beobachtet hat, bleibt allein in der Steppe zurück.
Almagul Menlibayevas schildert den Exodus gleichzeitig als schmerzhaftes und hoffnungsvolles Ereignis. Ähnlich wie die Nomaden ihr bisheriges Leben hinter sich lassen, verläuft auch die Narration des Films gebrochen. Die Bilder, die zwischen kühlen
Tönen und schwarz-weiß changieren, verleihen dem Geschehen eine rätselhafte Distanz, unterstützt durch die elektronischen Klänge des kasachischen Musikers OMFO.
Menlibayevas Film ist das Portrait einer zerrissenen Kultur zwischen uralten Traditionen und einer globalisierten Gegenwart. Auf melancholisch-poetische Weise schildert er die Suche nach einer Identität und den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.
Sowohl Dan Halter als auch Almagul Menlibayeva gehen davon aus, dass bei jedem "Exodus" auch immer ein Teil der eigenen Kultur und Identität zurück bleibt. Mit ihren Arbeiten schaffen sie neue Bilder für eine Gegenwart, in der Millionen von Menschen
unterwegs sind und ihre Heimat aus unterschiedlichsten Gründen verlassen müssen.