Mit einer Auswahl von etwa 200 Arbeiten beleuchtet die Ausstellung neben bekannten Werken auch Hofers bislang weniger bekannte Fotografien. Zum ersten Mal ist in Deutschland Hofers vollständiges Œuvre mit Werken aus allen Schaffensphasen zu sehen, wobei ein besonderes Augenmerk auf ihre fotografischen Essays für Magazine gerichtet wird. Die enge Zusammenarbeit mit dem Estate of Evelyn Hofer machte die Sichtung aller Fotografien und Archivmaterialien und damit eine umfassende Recherche am Museum Villa Stuck während der vergangenen Jahre möglich.
Immer wieder hat sich das Museum Villa Stuck dem Werk international renommierter Fotografinnen gewidmet: Grete Stern (1997), Helen Levitt (1998/99), Madame Yevonde (1999/2000), Herlinde Koelbl (2008) und zuletzt Regina Schmeken (2014) sind hier zu nennen. In der Tradition dieser Projekte ist die umfassende Retrospektive zu Evelyn Hofer im Museum Villa Stuck zu sehen. Dabei ist insbesondere die Verbindung Evelyn Hofers zur Villa Franz von Stucks zu erwähnen: Aufnahmen, die sie von den Wohnräumen gemacht hat, sind 1986 in House & Garden sowie in der Vogue erschienen.
Von dem amerikanischen Kunstkritiker Hilton Kramer als »berühmteste ›unbekannte‹ Fotografin Amerikas« benannt, erstreckt sich das Œuvre von Evelyn Hofer seit den 1940er-Jahren über die Sujets Architektur, Landschaft, Interieur, Stillleben sowie Porträt und zeichnet sich besonders durch berühmte Stadtporträts aus.
1922 in Marburg geboren, zieht Hofer nach der Emigration der Familie im Jahr 1933 in die Schweiz, wo sie einige Jahre später, 1941, in dem Züricher Fotostudio Bettina in die Lehre geht. Weiteren Unterricht erhält sie bei Hilmar Lokay sowie bei Robert Spreng in Basel und bei Hans Finsler in Zürich. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Mexiko ab 1942 zieht Hofer 1946 nach New York und nimmt dort ihre freiberufliche Tätigkeit als Fotografin für Zeitschriften und Magazine auf.
Hofer arbeitet 1959 an ihrem ersten Buchprojekt über Florenz. Die Fotografien der Auftragsarbeit zur Illustration eines Porträts über die toskanische Stadt weisen über reine und unmittelbare Illustrationen hinaus. Hofer beobachtet und erkundet ihre Motive zunächst lange, lässt Licht und Atmosphäre auf sich wirken und greift erst spät zur Kamera, um einzufangen, was sie subjektiv wahrnimmt – ein Vorgehen, wie es für ihre gesamte Arbeitsweise charakteristisch ist. In späteren Publikationen über London (1962), Spanien (1964), New York (1965), Washington (1966) und Dublin (1967) hält sie die Geschichte des Ortes und der Personen, die sie auf der Straße trifft, mit den ihr eigenen fotografischen Mitteln fest. Hofer etabliert mit ihren Stadtporträts charakteristische Motive und Themen, die sich durch ihr gesamtes Werk ziehen. Besonders ihre Porträts erinnern im formalen Aufbau an die Bildauffassung wie sie von Augst Sander bekannt ist, dessen Tradition sie eigenständig weiterentwickelte.
In den 1970er-Jahren reist Hofer im Auftrag von Magazinen um die Welt und hat neben Gesellschaftlichem die Kunstwelt im Fokus – es entstehen Porträts sowie Serien von Maler(inne)n und Schriftsteller(inne)n, aber auch erste Stillleben und zahlreiche Interieurs sowie Fotografien von berühmten Häusern. In dieser Zeit fotografiert Hofer auch ihre gesellschaftlichen, politischen und sozialen Essays für Magazine wie Life International, das Londoner The Sunday Times Magazine und The New York Times Magazine. Aufnahmen über die Watergate-Affäre (1974) sowie eine Serie über englische Gefängnisse (1975) und Wadowice (1979), die Heimatstadt von Johannes Paul II., geben Einblick in einen bedeutenden, bisher nahezu nicht beachteten Komplex in Hofers Werk. Zahlreiche Veröffentlichungen geben Zeugnis von Hofers subtilem und sensiblen Blick auf aktuelle Themen der Zeit. Fern der Ästhetik von Momentaufnahmen, wie sie in den 1970er- und 1980er-Jahren populär waren, sind in Evelyn Hofers Werk klassische Kriterien von zentraler Bedeutung. Sie präzisiert Form und Gestalt, konzentriert sich auf das Wesentliche und überzeugt durch Klarheit im Detail sowie Ausgewogenheit in der Komposition. Hofer zielt darauf ab, über ein rein dokumentarisches Moment hinaus eine Interpretation der Welt zu schaffen, die sowohl den Zeitgeist als auch eine gewisse Zeitlosigkeit in sich vereint.