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Museum Junge Kunst (Rathaushalle)


Marktplatz 1
15230 Frankfurt/Oder
Tel.: 0335 401 560
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Öffnungszeiten:

Di-So 11.00-17.00 Uhr

Henrik Schrat: Ali Baba und die 40 Räuber oder Simeliberg

17.05.2009 - 05.07.2009
Ort: Packhof des Museums, Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Str.11 Henrik Schrat: "Wenn man im Traum von Monstern attackiert wird, nervt das meist, aber es kann noch schrecklicher sein, wenn kein Monster da ist. Wenn die Bedrohung keine Gestalt hat, wird es richtig übel. Eine leere Stadt, und irgendwo lauert irgendwas. Darüber können auch die himmlische Ruhe und das Idyll nicht hinwegtäuschen. Viele Geschichten haben diese Plotvorlage benutzt, unsichtbare Wesen oder einfach das Fehlen des Gegners oder das System selbst greift an. Dann wird sinnlos in der Gegend herumgeballert, bis der Wahnsinn sich wohltuend auf die Nerven senkt. Wenn es doch ein konkretes Monster gibt, dann wundert es sich wohl, dass man sich selbst heftig kneift, um aufzuwachen, statt die Wumme hochzureißen oder wegzulaufen. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise dürfte so schon viele blaue Flecke erzeugt haben. Die albtraumhaften Qualitäten der momentanen Krise möchte ich ergänzen um die märchenhafte. Es gibt eine gut passende Parabel fürÂ’s Zeitgeschehen aus dem Märchenfundus. So global wie die Krise, so global auch dieses Märchen: Es kommt in „1001 Nacht“ vor, dort heißt es „Ali Baba und die 40 Räuber“, und es ist ähnlich auch bei den Gebrüdern Grimm zu finden, unter dem Namen „Simeliberg“. Die Grimms handeln es auf einer Seite ab, die Araber brauchen dafür zwanzig. Die schlaue Sheherazade besänftigt mit ihren 1001 Geschichten einen jungfrauenmordenden Sultan wie wir wissen. Fast alle Windungen der Geschichte bieten sich als Vergleich an, wenn man die Krise im Blick behält. Deshalb werde ich sie kurz nacherzählen. Es gibt zwei Brüder. Einer arm und bescheiden, einer reich und gierig. Bei den Grimms sieht der Arme im Wald zwölf Räuber, versteckt sich auf einem Baum und erlebt, wie sich auf die Zauberformel „Berg Semsi; tu dich auf“ der kahle Berg öffnet und die Räuber darin verschwinden. Nachdem sie wieder abgezogen sind, versucht es der arme Bruder selbst und findet sich in einer Schatzkammer wieder. Er hat den Pincode der Bande ausgespäht und überweist sich selbst ein paar Euros. Nicht viel. Er geht heim, und sein Bruder erfährt davon. Der zieht mit einem Karren los, um ihn mit Gold zu beladen, kommt in den Berg und packt ordentlich auf. Jedoch, als er hinaus möchte, hat er vor Aufregung und Gier den Code vergessen. Er ruft alles, was ihm einfällt, aber muss im Berg bleiben. Bis irgendwann die Räuber zurückkommen und ihn köpfen. Da hörtÂ’s auf bei den Grimms. In den Geschichten aus „1001 Nacht“ geht es da erst richtig los. Die Araber haben es schon damals begriffen, dass das vermeintliche Ende einer Geschichte erst der Anfang des Dramas ist. Das kann unmöglich hier alles erzählt werden, aber eine Windung der Geschichte muss ich noch anfügen: Der gierige Bruder wird nicht nur geköpft, sondern zur Abschreckung aufgespießt. Ali, der arme Bruder, findet die Stücke irgendwann, bringt sie nach Haus, verbindet einem Schneider die Augen, und der näht Casim, den Bruder, wieder zusammen. Warum? Damit er eine gesellschaftlich akzeptable Beerdigung haben kann. Ab hier wird die Geschichte verwickelt, prachtvoll, der Schneider wird wichtig, die Kreidekreuze, die schlaue Sklavin und das siedende Öl. Mich treibt die Frage um, wer in unserer Krise wohl den Schneider geben wird."

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