Modernes Leben findet in Systemen statt.
Es gibt Wirtschaftssysteme, Wertesysteme, Kommunikationssysteme, Justizsysteme, Gesundheitssysteme, Erziehungssysteme, Fortbewegungssysteme, Wissenschaftssysteme, Wohnsysteme, Bildungssysteme, Produktionssysteme und viele mehr …
Systeme ordnen Dinge an. Systeme bestimmen Abläufe und Beziehungen. In Systemen wird Komplexität zu funktionalen Gebilden organisiert. Systeme sind Muster — ihr Prinzip bleibt nur durch stete Wiederholung erkennbar. Oder das Muster löst sich auf. Systeme folgen ihrer eigenen Logik. So erhalten sie sich selbst. Was ihrer Logik folgt, fügt sich ein. Sei dies nun der genormte Regalboden eines weltweit vertriebenen Möbelsystems, ein Datum innerhalb eines Kalendersystems, Sprachbausteine im Telefonskript einer Service-Hotline oder die Bereitschaft des Bürgers, am Arbeitsmarkt teilzunehmen.
Systeme prüfen die Kompatibilität der Teile mit dem Muster. Das Verhältnis des Systems zur Umwelt ist selektiv und deshalb zugleich normativ, sagt der Soziologe Niklas Luhmann. Was mit der Norm des Systems nicht kompatibel ist, wird ihr auf symptomatische Weise zum Problem. Dann zeigt sich die Logik des Systems, wenn sie an ihre Grenzen stößt. Oft erst dann. Denn an sich sind Normen unsichtbar. Im symptomatischen Moment des Grenzfalls, der Ausnahme, oder des Verstosses dagegen enthüllen sie ihr Gesicht.
Die Ausstellung One Million Years — System und Symptom behandelt die ästhetischen, kulturellen und politischen Implikationen der Systemlogik aus der Perspektive der Gegenwartskunst. Sie führt künstlerische Projekte zusammen, die auf unterschiedlichste Weise mit Systematik umgehen. Die Ausstellung präsentiert so zum einen KünstlerInnen, deren Werk selbst der Errichtung präziser und ihrer ästhetischen Eigenlogik verpflichteter Systeme folgt, so z.B. Josef Albers, Hanne Darboven, On Kawara, Sol LeWitt, Jan Schoonhoven, und Simon Starling. Diese KünstlerInnen erproben das Prinzip der Systematik auf kühle, auf spielerische, oder oft auf derart extreme Weise, dass sie absolut systematisch jedem normalem Systemdenken einen Strich durch die Rechnung machen.
Zum anderen präsentiert die Ausstellung Arbeiten, die unsichtbare gesellschaftliche Systeme, Normen und Ausschlussmechanismen sichtbar werden lassen so z.B. Henrik Olesen, Martha Rosler, Andreas Slominski und Katharina Fritsch. Diese Arbeiten spüren Situationen auf, in denen die Logik eines Systems überraschend klar als Symptom zu Tage tritt. Sie beschreiben die Symptomatik des Lebens in Systemen. So werfen sie Fragen in Bezug darauf auf, wie soziale Identität und das vermeintlich normale Leben in Haushalt, Schule oder Justiz durch gesellschaftliche Systeme produziert werden und wo Repressalien lauern. Die Arbeiten von KünstlerInnen, die sich Systematik auf besondere Weise zu eigen machen, treffen in der Ausstellung One Million Years — System und Symptom auf Arbeiten, in welchen die systematische Ordnung des Lebens auf symptomatische Weise dargestellt und der Kritik unterzogen wird.