21.10.2011 - 13.11.2011
... zur Rolle der Musik in der Malerei Karl Aichingers
Einer meiner Freunde hatte eine kleine Spontan-Party in der Wohnung seiner Eltern organisiert. Sie waren mehrere Tage verreist. Ich muss sechzehn oder siebzehn gewesen sein. Damals, in den großen Sommerferien, irgendwann in den 70er Jahren. Freunde und Bekannte kamen, allesamt Teenager. Später tauchte Karl Aichinger mit seiner Freundin auf, den ich vom Sehen kannte. Wie üblich wurde getrunken, geraucht und geredet, bis der Gastgeber begeistert seine neueste Entdeckung vorstellte: Die Live-Platte einer schottischen Funkband, die heute kaum jemand kennt. Damals war Funk das neueste, heiße Ding im Pop. Karl Aichinger, damals wahrscheinlich Mitte Zwanzig, PROT-gestählt und Bluesbanderfahren, hörte kurz zu und gab dann ein fundiertes Urteil ab. Der Bassist spiele viel zu viel, lasse zu wenig Raum, erklärte er. Die Musik sei überladen, zu vollgestopft, Virtuosen-Getue. Er empfahl etwas "G'scheit's" aufzulegen und zog ein James-Brown-Album aus der Sammlung. Als die Platte lief, hörte ich zum ersten Mal den Godfather of Soul. Elegante Rhythmen, ein Irrgarten aus Tönen, gegen den James Browns Stimme wie ein wildes, eigesperrtes Tier aufbegehrt. Ich war zutiefst beeindruckt. Mein Blick wanderte vom Album-Cover hoch zu dem Mann, der diese Musik schätzte, doch Karl Aichinger hatte sich bereits längst wieder seiner Freundin zugewandt.
Karls Empfehlung von damals, auch wenn er seit langem klassische Musik bevorzugt, habe ich nie vergessen. Seine farbigen Bilder sind erstaunlich oft Musikern gewidmet: Miles Davis und Stan Getz, Josef Haydn und immer wieder Max Reger, dem Oberpfälzer Spätromantiker. Man könnte nun fragen, wie das Verhältnis ist zwischen Malerei und Musik, ob das eine die Darstellung des anderen ist, ob Stimmung, Ton und Komposition ins Bild übersetzt werden. Stellen darf man diese Fragen. Beantworten braucht man sie aber nicht.
Karl Aichinger geht es um eine Echtheit fernab von Klischees und akademischen Theorien, um Stil ohne Vorbild. Der Künstler als Schöpfer, ein Genius im Dialog mit Kunst und Musik also? Ja, was denn sonst? Natürlich ist das hoffnungslos old school und im Grunde total romantisch. Für Karl Aichinger ist dieser Ansatz jedoch nach wie vor relevant und noch lange nicht am Ende. So denkt man heutzutage nicht mehr, heißt es in einem Theaterstück von Botho Strauß, aber, mal ehrlich, ohne diesen Ansatz gäbe es keinen Thomas Bernhard und keinen Herbert Achternbusch. Karl Aichingers Bilder sind jetzt in einer großen Ausstellung zu sehen. Ekstasen à la James Brown auf Leinwand und hinter Glas gebannt, Rhythmus und Abstraktion mittels Farbe, Strich und Fläche, etwas "G'scheit's" eben.
Markus Mayer (Rundfunkjournalist, Bayern II)