04.10.2009 - 10.01.2010
EAT. (englisch: Essen, zugleich auch der Name einer bekannten britischen Sandwich-Kette, bei der auch der Punkt hinter dem T. obligat ist).
Der in Bremen lebende Christian Helwing arbeitet mit den am Ausstellungsort auffindbaren räumlichen Vorgaben, Maßen, Proportionen und Sinnebenen. Immer interessieren ihn auch die sozialen, repräsentativen und historischen Zusammenhänge vor Ort. Es geht um die Bedeutungen, die ein Raum im Stadtgefüge hat oder einst gehabt hat, um die Wege, die die Menschen darin zurücklegen oder -gelegt haben, um die Wechsel und Umwidmungen, die der Ort im Laufe der Jahre erfahren musste. Helwings Werke nähern sich bisweilen so sehr dem Funktionsträger Architektur an, dass sie darin aufzugehen scheinen. Wandsegmente erinnern an die Architektur des Bauhauses und immer wieder scheinen die raumgreifenden Plastiken nahtlos mit dem Leben zu verschmelzen. Sie täuschen Nützlichkeit vor und laden doch letztlich zum ästhetischen Raisonnement ein. Indem sie dies aber gleichzeitig tun, nehmen sie auf intelligente Weise und vor allem in sinnlicher Form den Strang einer Diskussion wieder auf, der einst um den Begriff und die Vorstellung der Moderne entbrannt war. Im Ausstellungsraum am Kopstadtplatz lässt nun eine radikale und die Besucher irritierende im direkten Sinne „raum-greifende“ Maßnahme das Ortspezifische neu begreifen.
Das den Ausstellungsraum des Kunstvereins Ruhr prägende architektonische Inventar lässt sich einfach beschreiben: Typischer innerstädtischer Nachkriegsbau, ehemaliges Ladenlokal, 85 m² Grundfläche, große Schaufensterfront, 3 Türen, 1 runde Säule, 2 quadratische Pfeiler und 3 lange, parallel zueinander verlaufende Reihen Leuchtstoffröhren unter der Decke - ÂÂÂdie Wände sind weiß gestrichen, der Betonfußboden grau. Die architektonischen Konzepte, die den Hintergrund dieser so nüchtern gehaltenen Raumbeschreibung bilden, werden für Christian Helwing, unter Hinzunahme weiterer raumbildender Strategien der Moderne, zum Material der in enger Korrespondenz mit den vorhandenen räumlichen Gegebenheiten entwickelten Arbeit „EAT.“. Farbkonzepte von Bruno Taut und „De Stijl“, das Verständnis der Konstruktivisten von Architektur als einem Vermittler zwischen Kunst und täglichem Leben, die ins Raster gesetzten Pfeiler Le Corbusiers, das zeichenhafte Verständnis von Architektur von Venturi/ Scott Brown („Learning from Las Vegas“) sind einige der sich in seiner Arbeit zu einem gesamten Raumkonzept überlagernden und verdichtenden Ideen. Diese werden die Bewegungsmuster der Besucher innerhalb des Raums radikal verändern. Und auch der Name der Londoner Sandwich Kette findet in dem Ausstellungstitel und in Anlehnung an deren minimalistische Corporate Identity, in Essen (!) ihren richtigen Ort.
Helwing entschied sich zu einer radikalen Maßnahme: Durch zwei eingezogne Wände erhält der Raum eine doppelte Diagonalteilung. Auf diese Weise entstehen drei voneinander getrennte Raumabschnitte, von denen der Mittlere unzugänglich bleibt. Es ergeben sich Einblicke, gedankliche Folgerungen, Zugangsmöglichkeiten, Erkenntnisse und letztlich weitreichende ästhetische Erfahrungen, die mehr darstellen, als es normalerweise die Begehung eines Raumgefüges ermöglichen könnte. Zur Ausstellung erscheinen ein Katalog und eine Edition.