Verpixelt nennt man das unklare, unkenntliche Bild, aufgebrochen in sein kleinstes Teilchen, verschwommen. Das viskose Pixel spricht keine übersichtliche Sprache mehr, stattdessen werden die einzelnen Teile des Bildes sichtbar. Dieser Riss in der Sprache offenbart ihren doppelten Boden. (Kneift man mit einiger Anstrengung die Augen zusammen, erkennt man wieder das Ganze.) Delia Jürgens’ Bawarih Rift – Part 1 (Viscous Pixel) fordert eine eigene visuelle Sprache. Diese Sprache bedeutet eine mobile Arbeit an Repräsentationsoberflächen, in der die Lesarten von allgemeingültigen Codes und Symbolen, die Dimensionen von Wertigkeit und Identifikation ausgeweitet und hinterfragt werden. Scheinbar offensichtliche Zusammenhänge laufen auseinander, um neu zusammengeführt zu werden. Materielle wie semantische Oberflächen überlagern sich: zwei-, dreidimensionale, virtuelle und materielle Objekte werden räumlich wie inhaltlich in der Ausstellung in ihrem jeweiligen räumlichen oder virtuellen Charakter zueinander in Bezug gesetzt, um die Frage nach Repräsentationspraktiken und Wertigkeiten auszuloten. Statt eine einseitige Verschiebung hinzunehmen spiegeln sie die Dopellbödigkeit der Realitäten in ihrer Ambivalenz. So zitieren die bedruckten Energydrink-Dosen zweidimensionale Inkjet-Drucke, ohne jedoch ein bloßes gegenseitiges Abbild in lediglich anderer Form darzustellen. Delia Jürgens unterläuft die Gewohnheiten unseres tradierten Referenzsystems - die quasi instinktive Frage nach dem ursprünglichen Zeichen bleibt ungeklärt. Die Frage nach der Herkunft gilt es dabei auch immer aus dem Kontext künstlerischer Praxis in Kontexte kultureller, sozialer, schließlich individueller Praktiken zu überführen, und umgekehrt. Das Spiel mit dem Verweisen auf Symbolträger verdichtet sich in Bawarih Rift - Part 1 (Viscous Pixel) zur Frage der Identifizierbarkeit, zur Figur der Identifikation. Immer wieder überschneidet sich der von der Künstlerin hinterlassene Abdruck und seine Verschleierung. Das Viscous Pixel ist die Schnittmenge dieser Überschneidung.
In Zusammenarbeit mit Per Mertens funktioniert Delia Jürgens den Büroraum des Kunstvereins um in die حليب (re)presentational Suite. Die fragmentarische Repräsentation der eigentlich online stattfinden Arbeit halib.biz wird zurückgeführt in eine Manifestation im Raum. حليب (halib) frei assoziiert aus den arabischen Namen خليل (khalil) = Freund und غالب (ghalib) = Sieger, Eroberer bedeutet Milch. Das repräsentative Bild einer Wohnwand mit künstlich akzentuiertem LED Licht betont Präsentationsflächen, die elementarische Momente und Inhalte sحليب in einer thematisch komplexen Verlinkung zeigen. Sie dekoriert die zwei Monitore, die zum einen den Zugang zur Webseite über einen Touchscreen ermöglichen und zum anderen das Panel Waiting Room, eine Arbeit der Webseite, zeigen. In Waiting Room, einer endlosen Animation eines Warteraums, wird die (re)presentational Suite zum physischen Ausstellungsraum einer virtuellen Arbeit, und gleichzeitig zum real gewordenen Vor- und Warteraum des Ausstellungsraums. Durch unterschiedliche Devices wie Touchpads und Touchscreens thematisiert حليب nicht nur das Medium und seine Berührung, sondern stets auch den Benutzer selbst. Per Mertens projizierte Videoarbeit One Exemplary beschreibt anhand von Cursor-Bewegungen die digitale Übersetzung unser Körperbewegungen, das Thema digitaler Hinterlassenschaft.
Im Rahmen der Ausstellung Bawarih Rift – Part I (Viscous Pixel) veröffentlicht حليب (re)presentational Suite mehrere Editionen, die während der gesamten Laufzeit direkt im Kunstverein und auf der Webseite http://www.halib.biz/price erworben werden können. Am Eröffnungstag finden Konzerte von geladenen Gästen im Rahmen der حليب (re)representational Suite statt.
Delia Jürgens (*1986) studierte Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Abschluss-Diplom bei Frances Scholz (2014), und Szenografie an der Hochschule Hannover. Stipendien/Studienaufenthalte in Los Angeles (2013) und Mexiko-Stadt, New Mexico, New York (2012). Bawarih Rift – Part 1 (Viscous Pixel) ist Delia Jürgens’ erste Einzelausstellung in Deutschland. Delia Jürgens lebt in Berlin.