17.06.2012 - 02.09.2012
Die Arbeiten von Oliver Flössel und Martin Städeli beinhalten zeitgeschichtliches Geschehen, persönliches als auch gesellschaftspolitisches. In diesen Werken begegnet der Betrachter also sowohl der eigenen Epoche, als auch dem individuellen Ausdruck und Empfinden der Künstler. Er wird animiert, auf das eigene Sein zu stoßen sowie die Erfahrungen und Gedanken der Künstler zu entdecken. Die Verschmelzung von autobiografischem und öffentlichem Leben in den Werken der beiden Kunstschaffenden verbindet demnach Vertrautes mit Fremdem, ermöglicht einen Dialog der Arbeiten mit dem Betrachter. In den Räumen des Kunsthauses Stade, einem Kaufmannshaus von 1667, werden mit dieser Ausstellung Kontaktaufnahmen zwischen Mensch und Kunst, gar zwischen Raum und Zeit, möglich.
So unterschiedlich die Arbeiten von Martin Städeli und Oliver Flössel zunächst erscheinen: Beide Künstler vertreten wichtige Positionen aus dem gegenwärtigen Berliner Kunstleben. Und beide verwandeln bewusst den Entstehungsprozess eines Werkes in Ausdruck. Gleichzeitig blinken in Städelis Skulpturen und in Flössels Gemälden zeitgeschichtliche Motive auf. Zwischen diesen Polen entsteht so ein Geflecht von persönlicher und öffentlicher Bedeutung, mit dem der Betrachter in einen Dialog treten kann.
Martin Städeli, geboren 1962 in Basel, beschäftigte sich zunächst intensiv mit konkreter Malerei, bevor er die Skulptur für sich entdeckte. Seit langem gestaltet er lebensgroße Figuren. Der Schaffensprozess – in dessen Verlauf er bis zu fünfhundert Lagen Zeitungspapier oder Papprollen aufeinander leimt – zieht sich oft über Jahre hin. Die so gewachsenen Skulpturen wirken fragil und zugleich standfest. In ihrer Struktur wechseln Ebenen von Bedeutung und von Bedeutungslosigkeit. Städelis Papierwesen haben Ähnlichkeit mit greisenhaften, ausgemergelten Körpern. Auf irritierende Weise wirken sie wie reale, vom Leben gezeichnete Menschen. In den verwinkelten Räumen des Kunsthauses Stade sorgen sie für Bewegung und Begegnungen.
"Ich sehe meine Malerei als Dialog zwischen mir und dem Bild", stellte Oliver Flössel in einem Interview fest. Der 1977 in Bad Kreuznach geborene Künstler widmet sich zunehmend der abstrakten und großformatig expressiven Malerei. Die Leinwand bearbeitet Flössel geradezu körperlich – oft sogar auf dem Fußboden – und nutzt dazu praktisch alle verfügbaren Materialien wie Ölfarben, Industrielacke, Spraydosen oder Stifte. Farbschichtungen erzeugen Spannung und Tiefe. In den Bildern mischen sich kräftige Farben und abstrakte Formen mit gegenständlichen Darstellungen oder Schattenhaftem. Teilweise sind Spuren von Korrekturen zu erkennen, Schemen früherer Versionen. Seine Arbeitsweise bezeichnet Flössel als einen Prozess von Frage und Antwort, von Geben und Nehmen. Das abgeschlossene Gemälde speichert eine individuelle Entstehungsgeschichte, die sich im Idealfall auf den Betrachter überträgt und ihm neue Verbindungen und Erfahrungen ermöglicht.