Kunsthaus Dresden, Foto: David Pinzer
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Kunsthaus Dresden - Städtische Galerie für Gegenwartskunst

Foto: David Pinzer
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Kunsthaus Dresden, Foto: David Pinzer
Kunsthaus Dresden, Foto: David Pinzer

Rähnitzgasse 8
01097 Dresden
Tel.: 0351 804 14 56
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Öffnungszeiten:

Di-Do 14.00-19.00 Uhr
Fr-So 11.00-19.00 Uhr

Kirunatopia

22.11.2014 - 15.03.2015

Kiruna, im hohen Norden Schwedens, ist eine Stadt im extremen Wandel: Die Hälfte der 20.000-Einwohner-Kommune muss umziehen, da der beschleunigte Abbau des Eisenerzes zu einer Deformation an der Oberfläche führt und sich Risse am Boden derzeit mit 7 cm pro Tag der Stadt nähern. Gegründet wurde diese Stadt als Siedlung des gleichnamigen Eisenerzbergwerkes mitten im historischen Gebiet der Samen, der ersten Einwohner Lapplands. Ab Sommer 2014 wird nun die südöstliche Stadthälfte samt Zentrum um 5 Kilometer verschoben. Der Grund hierfür liegt in der erhöhten Nachfrage nach Eisenerz auf den globalen Märkten und den damit zusammenhängenden Preissteigerungen. Der Verlust der Wohngebiete in Kiruna und den angestammten Weide- bzw Wanderflächen der rentierzüchtenden Sami kann hier in direkten Zusammenhang gesetzt werden mit dem enormen urbanen Entwicklungen in zB Indien und China.
Die Ausstellung Kirunatopia (2012), initiiert vom Goethe-Institut Schweden, in Zusammenarbeit mit dem Kulturreferat der Stadt Kiruna, widmet sich den Fragen zu der Geschichte der Rohstoffgewinnung, industrieller Transformation und Landschaft als Konzept der Moderne. Aber auch Demokratie und Partizipation lassen sich durch die Perspektive der Kunst am Beispiel der Stadt Kiruna über die regionale Bedeutung hinaus in ihrer globalen Dimension nachvollziehen.
Während in Kiruna die Jahrhunderte alte Kultur der Samen im Kontrast zur historischen Herausbildung einer Industriekultur der Moderne zu sehen ist, die eine gewachsene Kulturlandschaft und zuletzt auch ihre eigenen Ansiedlungen einer transformatorischen Zerstörung durch Verwertung zuführt, sind es in Deutschland die stillgelegten Tagebaugebiete – insbesondere des Braunkohleabbaus – vor allem in der sächsischen und brandenburgischen Lausitz, aber auch in Nordrhein-Westfalen, die uns in paradigmatischer Weise die Entstehung von Landschaft als Produkt der Moderne nachvollziehbar werden lassen. Die Situation in der Lausitz, eines der drei großen Braunkohlereviere Deutschlands, weist Parallelen auf. Nicht aus einer globalen Nachfrage heraus, sondern vor allem im Zuge regionaler Energieversorgung und Strukturfragen wurden und werden ganze Ortschaften abgetragen, um eine Ausweitung der Abbaufelder zu ermöglichen. Konkret betroffen hiervon sind auch die Sorben, deren Siedlungsgebiet in der Lausitz liegt.
Dabei ist das Konzept einer ‘Landschaft’ wie Simmel es beschreibt, bereits selbst ein Nebenprodukt eben jener industriellen Moderne, eines Denkens der Neuzeit, das spätestens mit der Romantik auch die Naturwahrnehmung zerteilt und in funktionale Bereiche zerlegt, denen einerseits die Herstellung von Emotionen und andererseits die materiellen Ressourcengewinnung zugeteilt wird.
Der Kunst kommt in der Formation dieser emotionalen wie auch entfremdeten Idee von Landschaft als kritisches Konzept eine tragende, wenn auch ambivalente Rolle zu. Die Industriefotografie feiert die landschaftsbildende Kraft der Ende des 19. bis Anfang des 20. Jhd. noch neuen Industrien bis heute. Ihr Prüfstand jedoch bleibt der Mensch, dessen Darstellung bald zwei Wege nimmt: Entweder als gestaltendes heroisches Subjekt, oder aber als ameisenartiger Bestandteil eines seine Dimensionen längst sprengenden eigendynamischen Systems.
Kirunatopia zeigt künstlerische Positionen der Gegenwart, die mithilfe von Recherche und Prozessorientierung differenzierten Bildern dieser komplexen Entwicklung nachspüren. Zur Kontextualisierung werden historische Kunstwerke herangezogen, die Teil der Produktion von ‘Landschaft’ wurden. In Kiruna beobachteten zwölf Künstler_innen mit Hilfe eines Atelier- und Produktionsstipendiums des Goethe-Institutes die gesellschaftlichen Prozesse der Gegenwart im Spannungsfeld globaler wirtschaftlicher Beziehungen. Sie untersuchten die historischen Grundlagen der Landnutzung und Rohstoffgewinnung und deren gesellschaftlicher Verwurzelung. Dabei initiierten sie behutsam Prozesse im Grenzbereich zwischen künstlerischem Prozess und sozialem Experiment. Mit der Rekonstruktion einer Ausstellung, die den Großen Minenarbeiterstreik 1969/70 in Kiruna, Malmberget und Svappavara begleitete, als Teil der künstlerischen Arbeit von Ingela Johannsson, eröffnet die Ausstellung zugleich ein vergessenes Archiv kultureller Widerstandspraktiken im Schweden der späten sechziger Jahre.
Neben bereits in Schweden gezeigten Arbeiten kommen auch neuproduzierte Werke u.a. von Klara Hobza, Lara Almarcegui, den Haifischen Dresden Süd-West sowie Grit Ruhland zur Ausstellung, die sich mit der aktuellen Situation in der Lausitz, und dem Thema der Folgelandschaft auseinandersetzen. Ergänzend erlauben die aus dem Kunstfonds Sachsen entliehenen historischen Werke von Jürgen Matschie, Jürgen Bergbauer, Marion Wenzel, Götz Schlötke, Gerda Lepke und Barbara Raetsch ein kleinen Einblick in die Geschichte der Auseinandersetzung mit der Kulturlandschaft der Lausitz.

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