Zusammen mit dem Museum Ludwig in Köln und in enger Kooperation mit der Joan Mitchell Foundation in New York präsentiert das Kunsthaus Bregenz eine große Überblicksausstellung der legendären Künstlerin Joan Mitchell (1925—1992). Der Fokus der Schau liegt auf ihrer Malerei, die kunsthistorisch in der Folge des Abstrakten Expressionismus beziehungsweise im Umfeld der New York School verortet wird. Angefangen mit den frühen Werken aus den 1950er Jahren bis hin zum Spätwerk aus ihrer letzten Lebensphase stellt die Ausstellung mit annähernd dreißig teilweise sehr großformatigen, mehrteiligen Bildern eindrücklich eine der bedeutendsten Protagonistinnen der Kunst des 20. Jahrhunderts vor.
Darüber hinaus wird erstmals ein umfassender Blick in das Archivmaterial der Joan Mitchell Foundation möglich, das in seinem Abwechslungsreichtum einen außergewöhnlichen Einblick in das faszinierende Leben der Künstlerin gibt. Anhand von filmischen und fotografischen Aufnahmen, Korrespondenz, Einladungskarten sowie Postern und anderen Ephemera wird so nicht nur die schillernde Person Joan Mitchell ausführlich beleuchtet, sondern auch ihre vielfältigen Beziehungen zu anderen bildenden Künstlerinnen und Künstlern wie auch zu Literaten und weiteren Persönlichkeiten der kulturellen Welt ihrer Zeit. So stand sie in engem Kontakt mit Elaine de Kooning, Jean-Paul Riopelle wie auch mit Frank O’Hara oder Samuel Beckett. Für die Präsentation dieser Archivmaterialien im Kunsthaus Bregenz hat der renommierte Vorarlberger Architekt Bernardo Bader ein Display entwickelt, in dem die historischen Dokumente, Fotografien und Filme präsentiert werden und so in einen spannungsreichen Dialog mit den Werken der Künstlerin treten.
Schon 1959, zu Beginn ihrer Karriere, nahm Joan Mitchell an der documenta II in Kassel teil, ihre Werke sind in den Sammlungen der wichtigsten Museen der USA und Frankreichs vertreten. Die Tatsache, dass ihr dennoch im internationalen Ausstellungswesen bis heute nicht die Beachtung zukommt wie ihren nur unwesentlich älteren männlichen Malerkollegen Jackson Pollock, Franz Kline oder Willem de Kooning, teilt sie mit anderen Malerinnen ihrer Generation. In den letzten Jahren entdecken vor allem junge Künstlerinnen und Künstler Joan Mitchell und ihre Kunst. Für diesen erneuten Dialog gibt neben ihrer emanzipatorischen Haltung nicht zuletzt auch die besondere Positionierung ihrer Malerei Anlass, die — vergleichbar ihrer Biografie — zwischen den verschiedenen kulturellen Welten der USA und Europas angesiedelt ist. 1925 in Chicago geboren, war sie als junge Frau viel auf Reisen, in den 1950er Jahren wechselte Mitchell zwischen New York und Paris, bis sie sich 1959 in Paris und 1968 in Vétheuil, einer kleinen Gemeinde nordwestlich von Paris, niederließ. Schon als Kind bei Besuchen mit ihrem Vater im Art Institute of Chicago von der europäischen Moderne, von van Gogh, Manet und einigen anderen französischen Malern des 19. und 20. Jahrhunderts angezogen, gewann die Kunst Europas für sie mit fortschreitendem Alter zunehmend an Bedeutung.
Zeigt vor allem ihr Frühwerk noch eine deutliche Vorliebe für Werke von Malerkollegen wie Philip Guston oder Willem de Kooning sowie ihre Verbundenheit zum sogenannten Action Painting und zur New York School, so ändert sich die Art ihres gestischen Farbauftrags spätestens mit ihrer Übersiedlung nach Frankreich Ende der 1950er Jahre. Joan Mitchell selbst nennt ab diesem Zeitpunkt Maler wie Vincent van Gogh als Vorbild und macht diesen Bezug auch explizit mit ihren Flowers betitelten Gemälden. Dennoch lassen sich ihre Werke nie eindimensional auf eine bestimmte Referenz festlegen und beziehen ihre Qualität und charakteristische Ausstrahlung gerade durch ihre vielseitige Unabhängigkeit. So schimmern zwar Assoziationen an Lichtstimmungen im Wechsel der Jahreszeiten oder an Bäume und andere Pflanzen in ihren Bildern auf, dennoch behaupten sie sich souverän als abstrakte Malerei. Dieses Changieren zwischen Figuration, Verweis und Abstraktion macht die große Aktualität des Werks von Joan Mitchell nicht nur für junge Künstlerinnen und Künstler aus.
In ihrer absolut eigenständigen Bildsprache treten Konzeption und Emotion in mitunter sehr großen Formaten in einen Dialog, der die Betrachter gleichermaßen sinnlich verführt und intellektuell stimuliert. Vor allem in den späten mehrteiligen Arbeiten öffnen sich Bildräume, deren Farb- und Tiefenakzentuierungen sich einem genauen Ausloten entziehen und die Betrachter förmlich in das Bild aufnehmen, ohne dass dies zulasten einer rationalen Reflexion ginge. Die Ausstellung vereint Arbeiten aus Museen wie dem Museum of Modern Art in New York und dem Centre Pompidou in Paris sowie aus der Joan Mitchell Foundation mit Werken aus Privatsammlungen, von denen manche bisher noch nie oder nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen waren.