Das Kunsthaus Baselland freut sich sehr, die erste institutionelle Einzelausstellung des britischen Künstlers Christopher Orr (geb. 1967 in Schottland, lebt und arbeitet in London) zeigen zu können. Die Ausstellung zeigt eine Reihe von Arbeiten der letzten Jahre ergänzt von neuen Arbeiten, die extra für die Ausstellung entstanden.
Orr zählt zu den eindrucksvollsten Malern der Gegenwart. Seine Werke waren u.a. an der 54. Biennale von Venedig im Palazzo Zenobio, im CAPC Musée d’art contemporain, Bordeaux, den Kunsthallen Brandts in Odense, in der Tate Britain ebenso wie regelmässig in den Galerien Hauser & Wirth und IBID Projects zu sehen.
Wie der Titel „Light Shining Darkly“ bereits evoziert, zeigen Orrs Malereien Schauplätze und Szenen, in denen sich etwas vermeintlich Mystisches, Übernatürliches, Dunkles bzw. Unheimliches abspielt, oder man ahnt als Betrachter, dass solches geschehen könnte. Die Landschaftsausschnitte, in denen die Protagonisten wirken, sind durch besondere Lichtstimmungen charakterisiert. Mal gibt eine Nachtlandschaft mit einfallendem, diffusem Lichtkegel den Blick auf Spaziergänger frei (Descent, 2004), mal stehen Menschen vor einem Felsabhang (Silent One, 2010), oder es spielen sich unerklärliche Szenen im tiefsten Nachtwald ab (The Silence of Afterwards, 2010). Immer wieder ist es der spezifische Einsatz der Lichtinszenierung, welche den Bildmotiven bereits auf den ersten Blick einen Twist hin zum Unheimlichen geben. Die Art und Weise wie der Mensch in der Landschaft verortet ist, gibt Anknüpfungspunkte für die Philosophie des Erhabenen. Angesichts der Unerreichbarkeit und Grösse der Natur fühlt sich der Mensch klein und überwältigt.
Christopher Orr malt meist an mehreren Bildern gleichzeitig. Als wichtiger Fundus für seinen Schaffensprozess erweist sich dabei sein Bildarchiv, bestehend aus alten Magazinen – allen voran National Geographic – aus den 30er bis 70er Jahren und Büchern. Ebenso sind es die "old masters" der Malerei –Tiepolo, Vermeer, Bosch, Hals, van Eyck, Caravaggio und andere, auf die Orr zurückgreift. Seine Leidenschaft für Details in den Werken seiner Vorbilder findet Eingang in seine eigenen Bilder. Er zitiert sozusagen eine bestimmte ausgewählte Stelle aus dem historischen Gesamtzitat. Zu seinem Archiv zählen auch thematische Bildsammlungen, die beispielsweise Wissenschaftliches, Mystisches oder Sphärisches gruppieren.
Viele der Figuren, Objekte, Landschaften und die Tätigkeiten der Figuren entstammen dem Archiv. Der Künstler fügt sie collageartig aus verschiedenen Quellen zusammen, indem er sie zunächst in seinem Skizzenbuch konzipiert und zeichnet. Die daraus hervorgehenden, meist kleinformatigen und mit hoher Handfertigkeit produzierten Ölmalereien verlocken zum detaillierteren Betrachten, wobei nicht nur die Pinselführung, die sowohl auf- als auch abträgt, auffällt, sondern auch immer wieder Brüche von Zeitlichkeiten. In Häxan Apparatus (2012) steht beispielsweise eine männliche Figur, deren Kleidungsstil sowohl gegenwärtig, als auch aus den letzten zwanzig Jahren stammen könnte, in einer Landschaft, die einem Gemälde der Renaissance entsprungen sein könnte. Die Apparatur, die die Figur umgehängt trägt, ist für Uneingeweihte nicht entzifferbar. Der Titel, der einen Querverweis zum schwedischen Stummfilm „Häxan“ von 1922 andeutet – ein Film über die Geschichte der Hexenverfolgung, bringt den Gegenstand in Verbindung mit dem Okkultischen und der Hexerei. Auch die Strahlen, die von einem Stab der Figur ausgehen, lassen daran denken. Die Tatsache, dass ein Mann in Jeans, rotem Hemd und Schnürschuhen etwas vermeintlich Okkultisches innerhalb einer altmeisterlichen Landschaft ausführt, die wir von kunsthistorischen Meisterwerken kennen, gibt dem Bild eine ganz spezifische Eigenheit. Abgetrennte zeitliche Momente verbinden sich, Unvereinbares kann zusammen gelesen werden, Altes und Neues verbindet sich und bildet zusammen mit uns als Betrachter eine neuerliche Verbindung mit der Gegenwart.
Ein wiederkehrendes Charakteristikum in den Malereien von Christopher Orr ist der Einsatz unterschiedlicher Figurengrössen, die sich unabhängig von Perspektive- und Bildeinheitsfragen präsentieren. In Lighten Our Darkness (2010) beispielsweise stehen sich zwei mit Schürzen bekleidete Frauengestalten gegenüber und erheben eine Hand, so als ob sie ein Zauberritual vollführten. Sie haben identische Gesichter und stehen sich gespiegelt gegenüber; allerdings überragt die eine Figur die andere aus unerklärlichen Gründen um ein Drittel. Auch in The Cunning Folk (2012) stehen im gleichen Bildraum eine übergrosse männliche Figur im Anzug und eine im Vergleich dazu winzige männliche Figur mit freiem Oberkörper. Es gibt keine lineare Erzählung, die uns dafür eine Begründung liefert.
Die geschilderten motivischen Ungereimtheiten, die Hell-Dunkel-Dramaturgie der Bilder und das Auseinanderfallen von Zeitlichkeiten lassen Spielraum für eine eigene individuelle Erzählung im Kopf. Christopher Orr ist sozusagen der Regisseur für unsere Filme im Kopf.