Mit seiner Kamera dokumentiert der amerikanische Fotograf Sean Gallup (geb. 1968) rechtsextreme Gewalt als ein gesamtdeutsches Phänomen. Seine Fotografien rücken den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt: als Täter, als Opfer, als sich Wehrenden, als Aussteiger aus der Szene, der selbst zum Opfer zu werden droht. Es ist diese Vielzahl von individuellen Schicksalen, die uns die ganze Bandbreite und Komplexität der Thematik vor Augen führt.
Im Zentrum jeder Biographie steht eine Gewalttat oder ein Gewaltumfeld. Rechtsextreme Gewalt kann jeden treffen, da jeder zum Ziel ihrer Angriffe erklärt werden kann. Das diffuse, oft widersprüchliches Weltbild Rechtsextremer beruht auf nur einer Konstanten: dem Faustrecht. Für rechtsextremer Schlägercliquen sind Gewalt und Machtausübung die konstitutiven Momente ihrer sozialen Gruppe und der Gesellschaftsordnung, die sie anstreben. Eine Gesellschaft ohne ethische Maßstäbe, genährt von Hass und Gewalt.
Am Anfang trifft es die bunten Außenseiter, weil sie vielleicht mit ihren gefärbten Haaren und ihrer Lebensfreude den Hass der Neonazis auf sich ziehen. Oder es trifft die kleinen Gruppen einfach Auszugrenzender, wie z.B. Menschen, die in Deutschland Schutz vor politischer Verfolgung gesucht haben.
Dass der oder die „andere“ ein Teil meiner selbst sein könnte, gerät dabei vollkommen außer Acht. Genauso wie die Tatsache, dass wir als Menschen mit unserer - aus vielen Bausteinen zusammengesetzten - Identität auch immer zu einer Minderheit gehören, ob als junger oder alter Mensch, als Brillenträger oder Rothaariger, als Dünner oder Dicker, als gläubiger Christ oder gläubiger Atheist, als Dynamo Dresden-Fan oder Anhänger von Hertha BSC. Rechte Gewaltkriminalität betrifft nicht nur das einzelne Opfer, sondern immer die ganze Gesellschaft. Mit jeder rechtsextremen Gewalttat zielen die Täter auf den demokratischen Verfassungsstaat und auf den Kern unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar (Art. 1, Abs. 1).
Zur Ausstellung erscheint ein 200 Seiten umfassender Katalog beim Sandstein-Verlag, der in einen Katalogteil mit den Arbeiten des Fotografen und einen Essayteil gegliedert ist.
In den Essays spiegeln sich zum Teil sehr persönliche Erfahrungen der Konfrontation mit rechtsextremer Gewalt, so etwa bei Mo Asumang. Mit der Liedzeile »Die Kugel ist für Dich, Mo Asumang« einer Nazi-Rockband änderte sich im Jahr 2001 das Leben der bekannten Regisseurin und Schauspielerin. Mo Asumang ließ sich nicht einschüchtern und wehrte sich, die gesungene Morddrohung wurde zum Ausgangspunkt einer Spurensuche nach dem Liedsänger und seinen Motiven. Nicht mit dem »Warum«, sondern dem »Wie« der Gewalt setzt sich Kriminalhauptkommissar Lutz Körner von der Dresdner Polizei in seinem Beitrag auseinander, in dem er »schwere« und »gefährliche Körperverletzung« als Rechtsbegriffe definiert und mit Beispielen aus der Gerichtsmedizin illustriert. Dabei mag den Nicht-Fachmann erstaunen, dass vor Gericht ein gebrochenes Nasen- oder Jochbein in der Regel als Bagatellverletzung eingestuft wird und psychische Folgeschäden nur selten Beachtung finden. Mit "rechtsextremen Tendenzen und Vorfällen in der Bundeswehr" befasst sich in seinem Aufsatz der ehemalige sicherheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen Winfried Nachtwei. Als Hauptautor leitet Hans-Jochen Vogel mit einem Beitrag über die „Wehrhafte Demokratie vs. Rechte Gewalt“ den Essayteil ein.