12.10.2010 - 21.11.2010
In Hannelore Weitbrechts Arbeit begegnen wir Formen der Natur, die verschiedene Ebenen der Wahrnehmung und Deutung ansprechen. Ihre oftmals geregelten Anordnungen in Reihungen, Quadraten, Dreiecken und Mandalas berühren das komplexe Spannungsfeld von Natur und Kultur/Zivilisation. Die Fragilität und Blässe der pflanzlichen Elemente verweisen
auf Hinfälligkeit und Bedrohung. Zugleich lässt ihre anrührende Naturschönheit sie, so
paradox es scheinen mag, im Kunstkontext fast unwirklich erscheinen. Beim genaueren Hinsehen sind die Grenzen zwischen Kunst und Natur, zwischen Erfundenem und Gefundenem, fließend. Hybridformen betonen das geheimnisvolle Eigenleben der Werke, die weder Artefakt noch Naturerscheinung sind. In Momenten der Bewegung, des Ausbreitens und des Aufrichtens, deutet sich an, dass etwas im Werden ist und Leben stets neu ersteht.
Die Bestandteile der Kunst Hannelore Weitbrechts sind keine objets trouvés im herkömmlichen Sinne. Waren es in den Readymades und Assemblagen Marcel Duchamps und seiner Nachfahren vor allem Alltagsgegenstände, die einer surrealen Verwandlung
unterzogen wurden, handelt es sich bei Hannelore Weitbrecht um Formen der Pflanzenwelt.
Diese empfindet sie entweder der Natur nach oder entnimmt sie aus Garten, Feld und Wiese und lässt sie in ihrer neuen Gestalt im Kunstwerk auf kosmische Zusammenhänge verweisen. Das Einswerden von künstlerischem Eingriff und Natur macht Hannelore Weitbrecht eher zur Geistesverwandten mit Vertretern der Land Art. Während jene die abgelegenen Orte der Natur als Standorte der Kunst aufsuchten, geht Hannelore Weitbrecht jedoch einen Schritt weiter, indem sie die Natur zurück in den Kunstkontext holt und die Pflanze sowie pflanzenähnliche Formen zum ästhetischen Ausdrucksträger macht. Diese Art des integralen Umgangs mit der Natur verdeutlicht auf der metaphorischen Ebene die Rolle des von Theodor W. Adorno thematisierten "Naturschönen" und seines Eigenwertes und markiert einen Gegenpol zur wirtschaftlichen Nutzung der Natur als Rohstoff.
Wohin der Verlust des Gleichgewichts zwischen Mensch und Natur - von den biblischen Plagen bis ins Zeitalter der Genmanipulation - führen kann, mag sich in Werken wie "Invasion" dem Betrachter offenbaren. Das Meditieren des Kreislaufs der Natur, das von jeher mit dem Menschsein einhergehende Sammeln von Samen und Früchten im Rhythmus des Werdens und Vergehens, ist Teil der künstlerischen Arbeit und gibt ihr eine archaische Dimension. In ihrer neuen Gestalt in den Werken Hannelore Weitbrechts verweisen
Naturelemente auf kosmische Zusammenhänge, die uns heutigen Menschen oft wenig bewusst sind.
Anna-Maria Ehrmann-Schindlbeck Galerie der Stadt Tuttlingen