Die Ausstellung Georg Baselitz: Besuch bei Ernst Ludwig versammelt Gemälde, Skulpturen und Zeichnungen aus verschiedenen Schaffensperioden des Künstlers von 1980 bis zur Gegenwart.
Den Ausgangspunkt bilden zentrale Werke der frühen 1980er Jahre wie Die Familie (1980), Das Liebespaar (1984), Der Brückechor (1983) und die Remix-Versionen The Bridge Ghost’s Supper (2006) und Nachtessen in Dresden (Remix) (2006) sowie die zeitgleich entstandenen Serien der Tuschezeichnungen mit Köpfen (Brücke-Künstler) und Stiefeln/Schuhen.
Das Familien-Thema wird von Georg Baselitz 2011 in mehreren großformatigen Gemälden wieder aufgegriffen und 2012 entstehen nach Negativvorlagen Doppelporträts von Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel, die wiederum an die Brücke-Geister anschließen. Ferner ist die monumentale Holzskulptur Sing Sang Zero (2011) in der Ausstellung vertreten.
2005 trifft Georg Baselitz die Entscheidung, neue und andersartige Versionen von bereits vor Jahrzehnten entstandenen Gemälden zu schaffen. Schon zuvor hatte er Zyklen von Erinnerungsbildern nach alten Familienfotos und eigenen Kinderzeichnungen erarbeitet. Neben den die Ikonen des Sozialistischen Realismus paraphrasierenden Russenbildern entstehen als Remix bezeichnete Gemälde und Zeichnungen, welche das Ergebnis einer retrospektiven Recherche des Künstlers sind. Baselitz agiert mit großer Leichtigkeit und klaren Farben auf weiß belassenen Leinwänden; die schnellen und frischen Remix-Bilder erscheinen wie ironische Gesten der Erinnerung und offenbaren einen überaus vitalen Künstler, der seinem Werk verblüffende und inspirierende Bildfindungen abringt.
Das am 25. September 2006 vollendete Gemälde Nachtessen in Dresden (Remix) variiert in diesem Sinne die mehr als zwanzig Jahre zuvor entstandene Vorlage: Wie schon damals auf dem Kopf stehend, treten wiederum Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff auf. Der panische Ausdruck der Abendmahlszene hat einer erschöpften und introvertierten Lässigkeit Platz gemacht. Die »Geister« präsentieren sich allesamt in eleganten königsblauen Anzügen und tragen modische Stiefel, Stiefeletten oder feine Abendschuhe. Die Obsession des Künstlers für Schuhe manifestiert sich nicht nur in der Neuversion des Nachtessens, sondern auch in zahlreichen Tuschezeichnungen, die zur gleichen Zeit entstehen. Baselitz scheint es bei diesen Variationen eigener Werke um die Frage nach dem Alterswerk großer Künstler zu gehen. Insbesondere die nervöse Existenzkunst Edvard Munchs und dessen selbstgewähltes Aussenseitertum haben ihn beeindruckt. Er verspüre »eine Abhängigkeit von Munch und Schmidt-Rotluff, Hochachtung für Kirchner und Verständnis für Heckel« kommentierte Baselitz seine Auswahl der alten Meister.
Die Geste der Wiederholung, die Baselitz mit seinen Remix-Bildern vollführt, bringt keine Kopie auf die Leinwand, sondern ist vielmehr die Darstellung einer Interaktion mit der eigenen Vergangenheit. Das Neue, das dabei entsteht, rührt aber auch von den Regeln oder »Handikaps« her, die Baselitz sich selbst auferlegt. Die innere Notwendigkeit, die den Maler 1969 dazu veranlasste das Motiv zu drehen und fortan umgekehrt zu malen, hat in jüngerer Zeit zu einem neuen Kunstgriff geführt. Der Maler der Remix-Bilder bearbeitet die Leinwand am Boden mit dem Pinsel – ohne dabei das große Format in Gänze überblicken zu können –, während er in der linken Hand ein Foto oder andere erforderliche Vorlagen hält. Mittlerweile werden die farbigen Vorlagen nicht mehr als solche verwendet, sondern zuvor am Computer zu Negativen bearbeitet. Das Negativ tritt gewissermassen als Bildstörung auf und ermöglich der gegenständlichen Malerei von Georg Baselitz – ähnlich wie seinerzeit die Inversion der Motive – eine neue spielerische Autonomie.