15.05.2011 - 11.09.2011
Knallige Farben, runde Formen und viel Kunststoff - so präsentiert sich der jüngste Sammlungsbestand des Kieler Stadt- und Schifffahrtsmuseums, der nun zum ersten Mal ausgestellt wird.
Seit 2007 wurde die Sammlung des Museums für diese Ausstellung gezielt ausgebaut. Die Kriterien für die Objektauswahl wirken auf den ersten Blick schlicht: rund, orange und aus Kunststoff sollten die Stücke sein. Das Ergebnis ist beeindruckend und sorgt für einen Aha-Effekt. Erst der Panton Chair (Designer Verner Panton) neben der Kaffeemaschine von Krups und die Reval-Werbeplakate neben einem Mantel aus Kunstleder lassen begreifen, in welchem Ausmaß die Modernität Einzug hielt in den Alltag. Es war eine Zeit des Aufbruchs und des Protestes in politischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht. Die Jahre waren geprägt von alternativen Wohn- und Erziehungsformen, von Wohlstand, Vollbeschäftigung und einer hohen Konsumfreudigkeit, gepaart mit Technikbegeisterung und Fortschrittsglaube. Die Jugend grenzte sich von der moralisch belasteten Kriegsgeneration ab und definierte ihre Lebensziele und Wertvorstellungen neu.
Der Bruch mit dem "Mief" der Nachkriegszeit drückte sich in der materiellen Kultur vor allem durch die selbstbewusste Anwendung neuer, leichter Materialien, leuchtender Farben und unkonventioneller Gestaltungsideen aus. Sie blieben nicht auf die Protestkultur beschränkt, sondern wurden zum "Mainstream" der Alltagskultur. Das neue Design bestimmte die Lebenswelt der Menschen und symbolisierte eine neue, moderne, großstädtische Identität.
Eine zentrale Rolle kam den neuen Materialien zu. Seit Mitte der 1960er Jahre begann man mit Kunststoff zu arbeiten und lernte schnell seine Vorzüge kennen. Das Material ist leicht und lässt sich ohne Mühe in jede gewünschte Form bringen. Daneben ist es pflegeleicht und lässt sich vielfältig einfärben - der ideale Begleiter für die wirtschaftswunderverwöhnte Konsumgesellschaft dieser Zeit. Designer der Hochschule für Gestaltung in Ulm und andere namhafte Gestalter wie Luigi Colani und Ettore Sottsass schufen Möbel und Bürogeräte, Lampen und Küchenmaschinen aus Kunststoff, die heute zu den Spitzenreitern des Industriedesigns zählen. Daneben entwickelte sich eine Massen- und Wegwerfware, die schon unter den Zeitgenossen nicht nur Befürworter fand. Erst mit der Ölkrise im Jahr 1973 verschwand die Kunststoff-Welle ebenso schnell wie sie gekommen war.
Das Stadtmuseum freut sich, neben den erstmalig präsentierten eigenen Beständen Leihgaben der Firma Wilkhahn zeigen zu können. Das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Bad Münder arbeitete eng mit dem Designer Walter Papst zusammen. Der Gestalter, der an der Muthesiusschule in Kiel gelernt hatte, entwarf seit den 1950er Jahren Stühle und Kindermöbel für Wilkhahn. Mit ihm zusammen begann die auf Holzstühle spezialisierte Firma mit Kunststoff als Werkstoff zu experimentieren. In der Ausstellung sind neben Kindermöbeln und zwei Gartenbänken von Walter Papst auch der Prototyp seines berühmten Schaukelobjekts zu sehen.
Das neue Material und seine vielseitigen Eigenschaften stehen am Anfang des Rundgangs durch die Ausstellung. Danach beginnt eine Zeitreise in eine Wohnung der frühen 1970er Jahre. Kinderzimmer, Wohnzimmer, Küche, Büro und Badezimmer - alle Räume sind mit ausgewählten Exponaten vertreten und spiegeln den Zeitgeist wider.
Die 60er und 70er Jahre mit ihren gesellschaftlichen Umbrüchen nutzten die Designer als Inspirationsquelle. Ihre Entwürfe ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ausstellung. Der "Panton Chair" springt sofort ins Auge, dicht gefolgt vom Sitzsack "Sacco" der italienischen Firma Zanotta. Aber wer hätte gedacht, dass Luigi Colani, mit einigen Objekten in der Ausstellung vertreten, nicht nur einen Kinderstuhl, sondern auch ein Kinder-Töpfchen entworfen hat?
Gerade die deutschen Unternehmen beschäftigten viele namhafte Designer. Die Firma Braun beispielsweise arbeitete gezielt mit den Dozenten der Ulmer Hochschule für Gestaltung zusammen. Braun vertrieb Haushaltsgeräte, an denen Otl Eicher, Hans Gugelot oder Dieter Rams mitgewirkt hatten. Auch die Kieler Firmen Hagenuk und ELAC schwammen auf der Designwelle mit. Die Telefone für die Bundespost waren ab 1972 nicht mehr "mausgrau", sondern hellrotorange, farngrün und ockergelb. ELAC kleidete seine Plattenspieler in orangefarbenen Kunststoff und produzierte den beliebten Klappzahlenwecker, dessen Design-Idee allerdings aus Japan stammte.
Die Sonderausstellung zeigt schlaglichtartig besondere Objekte aus allen Bereichen des Alltags. Die innovative Werbekampagne für "Creme 21" wird ebenso angesprochen wie die Mondladung. Ein Fernsehgerät, das wie der Helm eines Astronauten aussieht, ist ein deutlicher Beweis für die daraus resultierende Raumfahrtbegeisterung.
Viele Besucher werden sich wahrscheinlich erinnern, selbst einige dieser Objekte in orange oder gelb besessen zu haben. Skurriles wie das Handgelenkradio "Toot-A-Loop" des japanischen Herstellers Panasonic und die "denkende Pfanne" von WMF - bei optimaler Temperatur gibt sie ein Signal - regen zum Schmunzeln und auch zur Reflektion über die eigene Jugend in den 1960er und 1970er Jahren an.