24.02.2008 - 08.06.2008
Der Wandel des Kieler Stadtbildes fasziniert die Malerin Gretel Riemann und seit Jahrzehnten dokumentiert sie ihn in ihren Arbeiten. Ihre 50 Bilder in der neuen Ausstellung im Kieler Stadtmuseum führen die Betrachter durch die Straßen der Stadt hin zu den Orten der baulichen Veränderung: Riemann findet ihre Motive in den vom Abbruch bedrohten Häusern und Fabriken, Industriearealen und -ruinen. Die Ausstellung konzentriert sich auf Kieler Stadtmotive der Jahre 1972 bis 2007. Diese Bilder aus den vergangenen 35 Jahren gleichen häufig einer Bestandsaufnahme dessen, was heute oft schon nicht mehr steht. Sie machen die Künstlerin zur visuellen Chronistin ihrer Stadt.
Gretel Riemann knüpft damit an eine lange künstlerische Tradition an, denn Kiel ist seit über 200 Jahren ein von Künstlern gewähltes Motiv in der Malerei. Zunächst interessierten sich die Künstler für das Erscheinungsbild der Stadt in der sie umgebenden Landschaft, so dass die Totalansicht die vorherrschende Darstellungsform war. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewann der Blick für Ausschnitte und Einzelmotive an Bedeutung und es begann eine breite Überlieferung malerischer Innenstadtmotive. Riemann richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Veränderungen, die sich mit der Zerstörung Kiels während des Zweiten Weltkriegs und dem Wiederaufbau in den 50er-Jahren bis in die Gegenwart ergaben.
Gretel Riemann - 1924 in Kiel geboren - gehört zu einer Generation, die ihre Wurzeln in dem Kiel hat, das im Zweiten Weltkrieg untergegangen ist. Sie hat die Bombenangriffe erlebt, die die Stadt ihrer Kindheit zu einem großen Teil zerstörten. Das Bedürfnis zu zeichnen zeigte sich bereits in ihrer Kindheit. Die Ausstellung präsentiert vier Zeichnungen aus den Jahren 1935 und 1936, die auf die Begabung der Elfjährigen hinweisen.
Riemann absolvierte eine Ausbildung als technische Zeichnerin, arbeitete mit ihrem Mann in der gemeinsamen Gerberei und daneben als Schriftenmalerin und Illustratorin. Erst zu Beginn der 60er Jahre nahm sie ihre künstlerische Tätigkeit wieder auf und fand Anregungen und Ausbildung bei Illa Blaue und Werner Rieger. Ein Jahr nach der Eröffnung des eigenen Ateliers in der Legienstraße 26 entstand das Bild „Vor dem Abbruch" (1974). Es zeigt Häuser, die an der Ecke Ziegelteich/Exerzierplatz standen und dem Verkehr weichen mussten. Die Künstlerin hatte ihr Thema gefunden und verfolgt diese Linie bis heute konsequent. Waren ihre ersten Arbeiten noch orientiert am Nachimpressionismus von Cézanne, veränderte sich ihr Malstil in den folgenden zwei Jahren. Jetzt stellte sie sich bewusst in die Tradition der Neuen Sachlichkeit der 20er und 30er Jahre.
Seit den frühen 70er-Jahren begleitet Gretel Riemann ihre Heimatstadt. Häufig verwendet sie zunächst die Kamera und skizziert die gefundenen Motive am gewählten Ort, bevor sie sich in ihrem Atelier an die Ausführung des Gemäldes macht. Mit sicherem Gespür für die prekären Orte der Kieler Stadtlandschaft und ihrer „Liebe zu den alten Häusern" hat Riemann Zeitdokumente geschaffen, die die Dynamik von Verfall und Weiterentwicklung der Stadtlandschaft vor Augen führen. Dabei vermeidet sie es, anzuklagen oder vergangene Zeiten zu verklären. Sie leistet vielmehr eine nüchterne Bestandsaufnahme der Gegenwart an den Nahtstellen der Veränderung. Damit gehören ihre Bilder zu einem Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt.
Ein besonderes Kapitel der Ausstellung ist dem heftig umstrittenen Abriss der Gebäude im Sophienblatt gegenüber dem Kieler Hauptbahnhof gewidmet. Gretel Riemann schuf seit Anfang der 80er Jahre eine Serie von Gemälden, die die Vielfalt des als Sanierungsgebiet ausgewiesenen Areals mit bedeutenden Wohn- und Geschäftshäusern und Industriebetrieben zeigte. Mit sicherem Gespür hatte die Künstlerin wiederum ein Quartier gewählt, das für mehrere Jahre Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen zwischen Hausbesitzern und Hausbesetzern, zwischen Stadtplanern und Denkmalpflegern war. Die Hausbesetzungen von 1980 bis 1983 und der Abbruch des alten Sophienhofs werden in der Ausstellung auch durch einige archivalische Zeugnisse aus dem Kieler Stadtarchiv dokumentiert. Damit ist dieser Aspekt der Ausstellung auch ein Beitrag zum Jubiläum 20 Jahre Einkaufszentrum Sophienhof, das vom 2. bis 8. März gefeiert wird.
Dass Gretel Riemanns Bilder auch heute noch höchste Brisanz entfalten können, das beweisen die beiden jüngsten Bilder der Ausstellung. Sie zeigen die Schwentinemündung, die jüngst restaurierte Granitbogenbrücke über die Schwentine sowie den mächtig aufragenden Bau der Holsatiamühle. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wird an diesem Wochenende abgerissen und damit die Eröffnung der Ausstellung mit den Kieler Stadtansichten nicht mehr erleben.