„Ich habe zum Stift gegriffen, weil ich mich öffnen musste, schreien.“
Der Heidelberger Kunstverein zeigt mit der Einzelausstellung „Wir leben im Verborgenen“ in der Reihe „Einzelausstellung: nicht alleine“ Grafiken und Gouachen der Künstlerin Ceija Stojka (1933–2013). Die österreichische Romni Ceija Stojka überlebte als Kind die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen. Erst Ende der 1980er Jahre – nach über 40 Jahren – beginnt sie Bilder und Worte für das Erlebte zu finden; sie schreibt Gedichte, Prosa und veröffentlichte 1988 ihre von Karin Berger herausgegebene Autobiografie „Wir leben im Verborgenen“. Sie überwindet damit ihre Angst, gibt sich als Angehörige der Minderheit der Roma zu erkennen und bricht als eine der Ersten das Schweigen über die Verfolgung und Diskriminierung. Sie initiierte damit einen Prozess der Auseinandersetzung mit der bis dahin verdrängten Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma. Sie nannte sich selbst eine, die den „Wenigerheiten“ zugehöre.
Im Zentrum der Ausstellung stehen Stojkas grafische Arbeiten, die mit einem stark expressionistischen Duktus ihre Erinnerung an Angst, Scham, Verfolgung und Tod in den Lagern zum Ausdruck bringen. In den Jahren von 1996 bis 2011 schuf sie so den rund 250 Blätter umfassenden Tuschezyklus „Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“. Ihre „dunklen Bilder“ erzählen von dem alltäglichen Überlebenskampf bis zu ihrer Befreiung und sind doch gleichzeitig in ihrer Wort-Bild-Auseinandersetzung mit dem Unaussprechlichen nicht greifbar. So sind die stilistisch vielfältigen Zeichnungen oftmals mit lautsprachlichen Satzstücken und narrativen Elementen versehen. In surrealen Bildinhalten oszillieren die Werke zwischen abgründiger Realität und Farbigkeit des Lebens, zwischen abstraktem Gestus und dokumentarischem Erinnern. Ihre Grafiken werden zusammen mit den Malereien von einer eigens konzipierten Architektur ausgestellt. Bücher, Texte, Filme und Dokumente kontextualisieren die Inhalte der Ausstellung. Zudem werden die Dokumentarfilme von Karin Berger „Unter den Brettern hellgrünes Gras“ und „Ceija Stojka“, in denen die charismatische Zeitzeugin über ihr bewegtes Leben berichtet, gezeigt.
Ceija Stojka war eine Künstlerpersönlichkeit, die mit ihrem bildnerischen, musikalischen und literarischen Werk ein einzigartiges und zutiefst berührendes Narrativ über die Verfolgung und den Genozid an den europäischen Sinti und Roma in der NS-Zeit geschaffen hat. Sie „malte, um zu überleben“ und fand in diesem Prozess Bilder und Worte, die an Dringlichkeit nie verlieren werden und bei den derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen aktueller sind denn je.
In Kooperation mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma in Heidelberg finden Führungen und Vorträgen statt. Gleichzeitig eröffnet im Studio das „Kino Romanes“; dort werden Filme zur Geschichte und Gegenwart der Sinti und Roma gezeigt. Eingeladene Künstler, Kuratoren, Historiker und Regisseure haben speziell hierfür Filme ausgewählt, die sie in der Auseinandersetzung mit dieser prekären Thematik besonders berührt haben. Ausgangspunkt der Ausstellung bilden die zwei in Berlin 2014 gezeigten Ausstellungen von Lith Bahlmann und Matthias Reichelt und die Monografie „Ceija Stojka (1933–2013) – Sogar der Tod hat Angst vor Auschwitz“.