12.02.2011 - 17.04.2011
Fährt die den Flaneuren am Weserufer wohlbekannte MS "Weserstahl" flussaufwärts ist ihr Ziel der Kochtopf der bremischen Stahlwerke: sie lädt dort den aufbereiteten Rohstoff für die Stahlproduktion ab. Stahl herstellen sei, so ein Vertreter einer Bremer Werft, "in flüssigem Zustand wie Suppe kochen": die richtigen Zutaten wie Chrom, Molybdän, Nickel oder Vanadium in den Erzrohstoff hineingemischt, erreiche man ein faszinierendes Material, das alle Bereiche unseres Alltagslebens maßgeblich präge - die Herstellung von Kaffeekannen, Hoch- und Tiefbaukonstruktionen und, bremisch bedeutsam, der Schiffsbau, fände nicht statt ohne Stahl. Stahl ist begehrt und bei Schiffsbauern ohne Alternative: "Wissen Sie etwas Besseres?"
Stahl ist hochfest und trotzdem elastisch, man kann ihn formen, härten, polieren, schweißen, schmieden. Als dünne Folie, hochbelastbare Stempel für den Untertagebau und als "Hollandprofil" zur Versteifung der Schiffskonstruktion ist Stahl grenzenlos gestaltbar und nutzbar.
Auch für die Kunst. Sinnfälligerweise zu sehen in der neuen Sonderausstellung im Hafenmuseum Speicher XI:
Die Künstlerin Inger Seemann und die Künstler Jochen Ruopp und Johann Christian Joost sind der Faszination des Stoffes Stahl erlegen. Es ist ihr Material, ihr Medium, ihre individuelle künstlerische Position, unterlegt durch eine Haltung, die sich - unbeabsichtigt? - damit auch gegen eine Philosophie des ausschließlich ökonomisch Verwertbaren wendet.
Inger Seemann zeigt Stahlskulpturen ("Raummäntel"), Wandreliefs ("Räume") und Stahldrucke.
Für ihre "Raummäntel" biegt, staucht, faltet sie flache Bleche, schmiedet linienführende Stahlstäbe und schafft - handwerklich anspruchsvoll - erstaunlich mehrdimensionale Objekte, die, selbst raumbildend, den sie umgebenden Raum choreographisch illustrieren. Ihre unbehandelte Oberfläche suggeriert Vergänglichkeit und Verletzlichkeit gleichermaßen, des harten Materials ungeachtet. Ihre "Raummäntel" vermitteln eine grazile Solidität, künstlerische Schwerelosigkeit inbegriffen, sie sind sich, selbstverständlich, selbst genug.
Inger Seemanns Wandarbeiten ("Räume") sind flächige gleichwohl skulpturale Stahlreliefs, ihre figürlich abstrakten Stahldrucke sind konsequenter dritter Aspekt ihres hier präsentierten Teils künstlerischen Schaffens.
Jochen Ruopp stellt stählerne kinetische Objekte und Multiples vor. Mit seinen Objekten bezieht er sich auf die Kinetik, die Lehre von den Kräften, die nicht im Gleichgewicht sind. Er widerspricht ihr mit künstlerisch wie auch technisch hoch anspruchsvollen Skulpturen, die, nach präzise berechneten geometrischen Mustern, ihre scheinbare innere Ungleichgewichtigkeit konterkarieren.
Die beweglichen Multiples sind vielteilige, vom Betrachter bespielbare Stahl- oder Messingskulpturen. Jochen Ruopp will künstlerisch und sinnlich einbeziehen, die streng geometrische Form des Werks immer neu gestalten und den kühlen Reiz des Materials erspüren lassen.
Eine weitere künstlerische Dimension: Der Klang des Stahls, im alltäglichen Bewusstsein eher als Lärm gewerblicher Produktion verankert, ist percussive Musik. Zur Vernissage der Ausstellung spielt Jochen Ruopp mit Jürgen Stein auf seinen Klangobjekten aus Stahl.
Johann Christian Joost schmiedet Stahl zu Kleinplastiken aus geometrischen Blöcken. Er verleiht ihnen eine atemlose Leichtigkeit, auch er arbeitet mit der Impression des energetischen Ungleichgewichts. Die Technik des Schmiedens und ihre Wirkung auf die metallene Oberfläche, das solidarische Zueinander der Blöcke erzeugen eine ausbalancierte gleichwohl zufällig anmutende Harmonie, die sich nicht auf figürlich oder abstrakt festlegen lassen will.
Eher jüngeren Datums in seinem künstlerischen Schaffen ist das "Material" Nebel, sehr konträr zum charakteristisch massiven Stahl.
Im Vorführraum des Hafenmuseums zeigt Johann Christian Joost das Dokumentationsvideo zu seiner Arbeit "NebelKreutz", einer Stahl-Nebel-Plastik, die 2009 in der Bremer Überseestadt im Rahmen des Kirchentags zu sehen war.