26.02.2012 - 29.04.2012
Befragt man Hartmut Berlinicke danach, welche Beziehungen er zum Meer, zu Schiffen und zur Seefahrt hat, mithin auch zum Bremer Hafenmuseum Speicher XI, dann ist seine Antwort wohl eine der ganz wenigen, die vollständig der Hintergedanken, der
liebenswürdigen oder auch programmatischen Hinterlist entbehren. Er sagt, er habe seine ersten Erfahrungen zur Schifffahrt auf Ausflugsschiffen der Havel in Berlin
gesammelt und später auf den niederländischen Kanälen in Friesland. Das hindert ihn nicht daran für diese Sonderausstellung mit Radierungen, Collagen und Objekten im Hafenmuseum Speicher XI eine außerordentlich dichte künstlerische Nähe zu der Szenerie zu komponieren, die er, wie er sagt, eben nur aus der Perspektive des Ausflüglers auf einem Stadtkanal kennt. Aber schließlich ist eine seiner künstlerischen
Maximen "Man tut etwas um zu sehen ob man es kann". Und Hartmut Berlinicke kann "es", er sammelt seine Absichten und Erfahrungen als polyperspektivischer Betrachter und sieht sich dort zu Hause, wo die Dinge ihre Geschichten erzählen.
Ein sehr geeignetes Beispiel für diese Feststellung ist die für die Ausstellung gefertigte großformatige Radierung "Seemannsbraut". Berlinicke entschlüsselt die La-Paloma-
Liedzeile "Seemannsbraut ist die See", indem er ihr sie mit seiner Darstellung um den Realitätsgehalt einer genüsslich-lasziv im Meer Badenden anreichert. Er kommt uns in der eigenen Phantasie ein Stück entgegen, will sagen, Seefahrerromantik gut und schön, aber eure Phantasie geht doch ganz woanders hin, nun gesteht es auch ein.
Und er mutet den Betrachtern auch noch zu, dass die Badende nun in keiner Weise den Eindruck macht, überhaupt irgendjemandes Braut zu sein. Damit legt er künstlerisch in erklärter Absicht noch Zeugnis darüber ab, keine Didaktik
aus Bildern ableiten zu wollen, sondern bestenfalls aufzuklären über Dinge die ihm widersprüchlich erscheinen.
Berlinicke erzählt seine farbigen und symbolträchtigen Geschichten mit einer inzwischen nur noch wenig genutzten Kulturtechnik, der Radierung, der Ätztechnik. Das verlangt, neben allen künstlerischen Aspekten auch nach akribischer handwerklicher Fertigkeit. Er zeigt in der Ausstellung beispielhaft auch die Schritte, die - technisch gesehen - zu seinem Werk führen.
Seine Themenvielfalt und die Phasen seines bildnerisch-künstlerischen Schaffens lassen den Betrachter in überzeugter Ratlosigkeit. Nähe zur Popkultur, Städte, Gebäude und Industriearchitektur, Maschinen, Juden- und Christentum,
Flüchtlingsproblematik, Heim- und Fernweh, Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Regionalität und Internationalität: Hartmut Berlinicke identifiziert die Dinge und ihren Sinngehalt mit tiefem künstlerischen Ernst und typisch berlinerischer Ironie. Letzteres
dient ihm nicht dazu politische oder religiöse Folgeschäden zu relativieren, im Gegenteil, diese Eigenschaft dient ihm der Entschlüsselung, der bisweilen bösen Deutung. Die Frage, ob er politisch links denkt und handelt beantwortet er damit, auf
jeden Fall nicht rechts zu sein.