27.04.2012 - 31.08.2012
Berühmt wurde Gottfried Keller (1819-1890) als Schriftsteller. Seine Romane Der grüne Heinrich und Martin Salander sowie sein Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla gehören zu den Klassikern der Weltliteratur. Kaum bekannt ist hingegen, dass der Schweizer Autor in frühen Jahren Maler werden wollte. Heroische Landschaften, aber auch skurrile Skelette, Totenköpfe oder geschwänzte Teufel bevölkern seine Bildwelt. Der Dichter konnte sich jedoch erst entfalten, nachdem der Maler gescheitert war. Die Art und Weise, mit der Keller sein intensives Verhältnis zur Natur, seine beklemmenden Seelenzustände und seinen kritischen Blick auf Politik und Religion visuell zum Ausdruck brachte, hinterließ deutliche Spuren in seiner Literatur.
Dank der großzügigen Leihgabe der Zentralbibliothek Zürich präsentiert das Günter Grass-Haus zum ersten Mal in Deutschland eine Auswahl bildkünstlerischer Arbeiten Gottfried Kellers. Die Sonderausstellung beleuchtet dessen künstlerische und persönliche Identitätssuche, die sich durch radikale Brüche, Rebellion gegen Autoritäten und existenzielle Konflikte auszeichnet und in der Familie, Freundschaften und unerwiderte Liebe eine große Rolle spielen.
Nachdem Keller im Alter von fünfzehn Jahren von der Schule verwiesen wurde, fasste er den festen Entschluss, Landschaftsmaler zu werden. Die zweijährige Ausbildung bei dem dilettantisch arbeitenden Zürcher Kupferstecher Peter Steiger verlief allerdings enttäuschend. Auch nach einem mehrmonatigen intensiven Naturstudium bei dem Schweizer Maler Rudolf Meyer gelang es ihm nicht, sich als bildender Künstler zu etablieren.
Seinen Traum vom Malen versuchte er daraufhin durch einen Studienaufenthalt in der damaligen Kulturmetropole München zu verwirklichen, wo sich viele Kunstschaffende unter König Ludwig I. an Werken der italienischen Renaissance orientierten. Für Keller wurden hier die klassizistisch-romantische Naturauffassung der Deutsch-Römer und die Stimmungslandschaften Carl Rottmanns vorbildhaft. Doch auch in München konnte er trotz seiner künstlerischen Fähigkeiten keine Verkäufe erzielen und verbrachte seine Tage planlos und zechend mit seinen Schweizer Künstlerfreunden. Desillusioniert kehrte er in seine Geburtsstadt Zürich zurück und fand ab 1843 schließlich zur Literatur. In seinem ersten großen Roman Der grüne Heinrich verarbeitete er sein Streben und Scheitern als Landschaftsmaler.
Aus den Nachlassbeständen der Zentralbibliothek Zürich zeigt die Ausstellung im Günter Grass-Haus bedeutende Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen Kellers, die zwischen 1835 und 1849 entstanden, sowie Reproduktionen von Handschriften und Skizzenbüchern. Begleitend zur Schau erscheint eine reich bebilderte Broschüre, in der seine frühe Schaffensphase anschaulich erläutert wird. Die Publikation enthält zudem einen Essay, der die Einflüsse Kellers auf das Œuvre von Günter Grass beleuchtet.