Das Obskure hat seit jeher die Menschen zu fesseln vermocht. Zwischen betörender Verzauberung einerseits und unheimlichem Schauer andererseits bietet die Welt der Schatten ein unerschöpfliches Thema für die Kunst dar. Ob wie im Barock das pralle Leben im Schutze der wolllüstigen Nacht gefeiert wurde oder in der Romantik sich die Faszination für das metaphysische Böse in düsteren „Hymnen an die Nacht“ niederschlug, bis heute vermag diese vielschichtige Thematik die Künstler einzunehmen. Peter Bräuninger (geb. 1948) hat sich in seinem Werk ganz der stimmungsvollen Feier einer magischen Schattenwelt verschrieben: nächtliche Strassen- und Hafenszenen wechseln mit verdunkelten melancholischen Interieurs ab; das Innenleben wird dabei anhand der dunklen Ecken im eigenen Atelier genauso neugierig-registrierend ausgeleuchtet wie das pulsierende Rotlicht-Milieu draussen vor dem Fenster. Das Flair für die abgründige Ästhetik der Nacht vermischt sich hier oft mit den Elementen eines Film noir: suggestive Bildformeln des schleichenden Grauens scheinen von Alfred Kubin entlehnt, wohingegen die harten Kontraste an die zwielichtigen Grossstadt-Porträts von Edward Hopper erinnern. Einsam und verloren steht der Mensch mit seinen Habseligkeiten da und wartet. Das Ziel seiner Reise bleibt unklar - wie etwa in der titelgebenden Radierung von 1989.
Seit etwa vierzig Jahren ist Peter Bräuninger selbst ununterbrochen unterwegs: der Zürcher Künstler pendelt seit den späten 1970er Jahren regelmässig zwischen Zürich, Genua und Hamburg, hat aber auch immer wieder längere Aufenthalte in den USA und Paris eingelegt. Seit mehr als vierzig Jahren schafft er auf seinen Reisen unermüdlich virtuose Aquatinta-Radierungen, die in ihrer hyperrealistischen Darstellung an Schwarzweiss-Photographien erinnern. Das entsprechende Know-how hat er sich bei Bruno Stamm an der Zürcher Kunstgewerbeschule erworben. Anfang der 1970er ging man hier ganz dem Impuls der Zeit folgend stark von der exakten Beobachtung aus und schuf im Gegenzug zum alles relativierenden Konzeptualismus eine neue Art von Realismus, der im Fall von Bräuninger zu seiner phantastischen Ausprägung mutierte. Diesem Ansatz ist er bis heute treu geblieben. Die ersten Erfolge gaben ihm recht. Das beachtliche Echo gipfelte in einer monographischen Ausstellung 1980 im Kunstmuseum Winterthur. Es folgten bis zum heutigen Tag unzählige Präsentationen in Galerien im In- und Ausland, diese wurden stets auch von der Kritik wohlwollend rezipiert. Die früher einmal konstatierte systemkritische „Weltuntergangsstimmung“ wich mit der Zeit der ausgeprägten Fabulierlust. Heute überwiegen aufwendig komponierte Inszenierungen, die mit einem verschmitzten Blick auf die Realität bestechen. Die wohldosierten Irritationen erfordern genaues Hinschauen, um die kühnen Visionen zu erspähen: so imaginiert Bräuninger bereits in den 1980er Jahren Hochseekräne vor der Kulisse des Zürcher Letten-Bahnhofs. Das graduelle Ätzen der Radierplatten, die er nebst der Strichzeichnung mit mehreren flächig-druckenden Aquatinta-Lagen anreichert, verlangt wie kaum ein anderes druckgraphisches Verfahren ein ausserordentliches räumlich-abstraktes, ja „szenisches“ Denken. Und hier ist er ohne Zweifel als Meister des dramatischen Hell-Dunkels zu bezeichnen. Daneben agiert er auch als Drucker seiner graphischen Blätter – was sehr aussergewöhnlich ist, aber durchaus seinen Grund hat: Bräuninger modelliert seine „Nachtstücke“ stufenweise in mehreren Vorgängen aus der Kupferplatte heraus.
Aus dem stattlichen Archiv des Künstlers wird eine repräsentative Auswahl gezeigt. Die retrospektiv angelegte Präsentation, die von den ersten Versuchen bis zu den neuesten Arbeiten an die 80 Werke umfasst, erlaubt auch einen Blick in die Werkstatt des Künstlers: die Druckgraphik wird durch Zeichnungen und Skizzenbücher ergänzt. Bräuninger pflegt seine Motive vor Ort mit dem Bleistift oder in Gouache einzufangen und im zweiten Schritt in detailreiche Vorlagen umzusetzen. Hierbei pflegt er in der Tradition der Architekturphantasien von Giovanni Battista Piranesi vorzugehen: vorgegebene Objekte werden nachträglich in unerwartete Zusammenhänge versetzt und mit sicherem Gespür neu kombiniert. Oder hat man gewusst, dass sich tief unter dem Zürcher Hauptbahnhof rätselhafte Verliese verbergen?