23.08.2011 - 06.11.2011
"Nein, so was hab ich ja noch nie gesehen. So ein Fund. So ein Fund. Büchsen kann man nie zu viel haben." - "Eine Büchse? Wozu kann man die brauchen?" - "Oh, die kann man zu vielem brauchen. Eine Art ist, Kuchen rein zu legen. Dann ist es eine Büchse mit Kuchen. Eine andere Art ist, keinen Kuchen rein zu legen. Dann ist es eine Büchse ohne Kuchen."
(Astrid Lindgren, Pippi Langstrumpf, Oetinger Verlag, Hamburg 1986)
Gareth Moore ist ein Sachensucher. Ständig ist er auf der Suche nach Dingen, die in unserer Wegwerfgesellschaft für andere an Wert verloren haben, um sie aufzusammeln und in einem neuen Kontext einer Wiederverwertung zuzuführen. Dabei löst er die Gegenstände und Materialien von ihrer ursprünglichen Funktion und öffnet sie für andere Lesarten. Gerne setzt er sich bei seiner Suche ihm unvertrauten kulturellen und örtlichen Zusammenhängen aus, indem er sich auf Reisen in fremde Gegenden und ferne Länder begibt. So kann es durchaus vorkommen, dass er sich über Monate auf eine Uncertain Pilgrimage aufmacht (2006/2007), sich ohne Kenntnis der Umgebung, Geld oder Karten aussetzen lässt, um pünktlich zur Eröffnung wieder zum Ort seiner Ausstellung zurück zu finden (CCA Wattis Institute of Contemporary Art, San Francisco 2008) oder einen Monat durch Indien reist (2010).
Das Material, das er auf solchen Unternehmungen sammelt, findet Eingang in seine Präsentationen: Holzbretter unterschiedlicher Zerfallszustände und gefundene Nägel werden etwa in weitem Bogen zu einer Most Elastic Road (2009) zusammengesetzt, Moos wird in die Form eines Schnurrbartes zurechtgezupft (Crusoe Tells a Monoecius Joke to Himself, 2006/2007), Münzen, Geldscheine und Tickets bilden eine Halskette (Necklace, 2006-2009) oder Zigarettenkippen fügen sich zu einer kleinen Figur (Detail von The Road Through the Forest by Lyman A. William, 2008). Einige dieser Objekte werden in Vitrinen kombiniert (ebenfalls The Road Through the Forest by Lyman A. William) oder in Antiquariaten als eine Art Kuriositätenkabinett präsentiert (Galerie Buchholz, Köln 2007). Andere wiederum werden als einzelne Skulpturen in den Ausstellungszusammenhang integriert (z.B. Donkey oder Addition to Endless, beide 2009). Wieder andere sind in ihrer Erscheinung so einmalig, dass sie z.B. ohne Hinzufügungen des Künstler in brachliegenden Grünflächen in Berlin oder Vancouver gezeigt werden - wobei Suche und Betreten des Ortes, das Objekt selbst und dessen Benutzung/Untersuchung durch die Betrachter/innen zum eigentlichen Projekt verschmelzen (A Horse With No Name, 2010).
In gleichem Maße wie Moore in seinen Objekten, Collagen, Installationen, Fotografien, Filmen und Performances herkömmliche Vorstellungen wie "wertvoll" und "wertlos" hinterfragt, sucht er in seiner künstlerischen Arbeit nach einer größtmöglichen Ökonomie der Mittel. Seine Werke entstehen grundsätzlich für den Ort und vor Ort und nutzen einfaches Material, das er gefunden hat oder das greifbar zur Hand ist. 2003 etwa wandert er auf der Suche nach abgelegten Kleidungsstücken durch Vancouver. Jedes gefundene Teil wird gegen sein eigenes ausgetauscht, so lange, bis er schließlich nur noch fremde, von anderen weggeworfene Kleidung trägt. Oder er fertigt großformatige Wandmalereien, indem er Blätter von Bäumen der Umgebung als Malmittel einsetzt (Vancouver und Berlin, 2009). Das Ergebnis dieser Vorgehensweise sind Werke, die in Material und Formgebung einfach erscheinen und dennoch spürbar präzise sind. Arbeiten, die die ursprüngliche Funktion und Herkunft ihrer Bestandteile nicht vergessen lassen und doch voller neuer Geschichten und Geheimnisse stecken (wie die Schuhe von Richard Long, die der Land Art-Künstler Gareth Moore schenkte, nachdem dieser ihn monatelang aufzuspüren versuchte und mehrere Tage auf seiner Türschwelle gewartet hatte, um ihn schließlich zu treffen).
Ebenso wie Moore gefundene Gegenstände auf neue Bedeutungen hin untersucht und scheinbar Wertlosem neuen Wert zugesteht, ohne sich in aufwendigen Verfahren zu verlieren, beobachtet er sehr genau die Gesetzmäßigkeiten, in denen er sich im Kunstbetrieb bewegt. Mit dem Erbe von John Baldessari, Constantin Brancusi, André Cadere, Richard Long, Artist Placement Group oder der institutionskritischen Kunst im Hinterkopf ist er bestrebt, den reibungslosen Ablauf der Kunstbetriebsmaschinerie nicht als gegeben hinzunehmen, sondern in Teilen außer Kraft zu setzen oder zumindest zu erschweren. Zwischen Juni 2005 und August 2006 betreibt er z.B. gemeinsam mit dem Künstler Jacob Gleeson einen Eckladen in Vancouver, der mit seinem Angebot an Lebensmitteln, gefundenen Gegenständen und Kunstwerken eine Mischung aus klassischem Tante Emma-Laden, Flohmarkt und Galerie ist und von seinen Kunden je nach eigener Bedürfnislage als das eine oder andere angenommen wird (St. George Marsh). 2008 richtet man dem damals knapp 32-Jährigen in San Francisco eine "Retrospektive" ein, die Werke aus den letzten drei Jahrzehnten beinhaltet und somit bis zu den ersten Kinderzeichnungen Moores zurückreicht - ohne dass die Ernsthaftigkeit der Unternehmung durch Künstler, Kurator oder Pressearbeit je aufgebrochen wird (Retrospective 1976-2008, CCA Wattis Institute of Contemporary Art). 2009 stellt er eine "Wunschbox" in eine Gruppenausstellung, in die die Besucher/innen ihre Wünsche für ein neu zu entwickelndes Kunstwerk einwerfen können - Wünsche, denen Moore nach Ablauf von ein paar Wochen getreulich nachkommt und deren Ergebnisse ebenfalls in der Präsentation untergebracht werden (Nothing to Declare, The Power Plant, Toronto). 2010 integriert er eine Stele mit Einwegkameras in eine Ausstellung, benennt sie nach Baldessaris Verweigerung bildnerischer Darstellung A Painting That Is its Own Documentation (1966-68) und verbietet die fotografische Dokumentation seiner Arbeit mit etwas anderem als ihren eigenen Bestandteilen. Dabei hat die Institution darauf zu achten, dass die Filme der Kameras nicht während der Laufzeit der Ausstellung zu füllen und somit auch nicht zu entwickeln sind (Sculpture Which Is its Own Documentation - Truly, GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen). Und als Beitrag zur Art Basel und der zeitgleichen Liste läuft er im Sommer 2010 während der gesamten Messetage zwischen seinen beiden Galerien und somit Art und Liste hin und her, dabei einen Felsbrocken aus den Schweizer Bergen auf einem traditionellen Holzgestell auf dem Rücken schleppend. Hinweis auf die Aktion sind allein zwei alte Holzstühle, die in den jeweiligen Galerienständen platziert sind. Jede Galerie ist berechtigt, "ihre" Hälfte der Arbeit zu verkaufen - und somit eine Situation entstehen zu lassen, in der zwei Sammler sich miteinander absprechen und eine gelegentliche Bewegung des Felsbrockens zwischen ihnen organisieren müssen.Diese künstlerische Haltung, die einen gesellschaftskritischen Ansatz mit Präzision, Spontanität und Humor verbindet, ohne je mit dem moralischen Zeigefinger zu winken, wird auch die Ausstellung prägen, die Moore für Bremen entwickelt.
Die Präsentation in der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst ist die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstlers in Deutschland und - mit Ausnahme einer Präsentation bei Witte de With in Rotterdam 2008 - Europa. Für diese Gelegenheit wird Gareth Moore, seinem Ansatz entsprechend, ein neues Projekt und neue Arbeiten für den Ort realisieren.