26.11.2011 - 19.02.2012
"Mir ist bewusst, dass man nicht objektiv sein kann. Das ist mir im Laufe der Zeit klar geworden. Nicht objektiv zu sein bedeutet, dass all die Geheimnisse meines Bewusstseins in meine Arbeiten einfließen. Ich finde, dass das für jedes Kunstwerk von großer Bedeutung ist: dass man eben nicht weiß, warum etwas genau so ist, wie es ist, oder warum es überhaupt da ist."
Cathy Wilkes, Frühjahr 2011
Die GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst präsentiert in Kooperation mit dem Kunstverein München die erste institutionelle Werkschau von Cathy Wilkes außerhalb Großbritanniens. Sowohl die Ausstellung in München (im Frühjahr 2011) als auch die Präsentation in Bremen stellen zwei gemeinsam für diesen Anlass produzierte Installationen und erstmalig zugängliches Archivmaterial in den Fokus, wobei die Künstlerin Letzteres in beiden Häusern individuell zusammenstellt. Allerdings ergänzen beide Orte diese Kernwerke mit unterschiedlichen Aspekten aus Wilkes' künstlerischem Schaffen. In Bremen liegt der Fokus über das Archiv und die beiden neuen Installationen hinaus auf einer Auswahl kleinerer, aktueller Skulpturen und besonders den Gemälden der Künstlerin.
Die meist kleinformatigen, immer abstrakten Malereien von Cathy Wilkes haben einen besonderen Stellenwert in ihrem künstlerischen Schaffen. Sie stehen in einem Spannungsverhältnis zu ihren räumlichen Anordnungen und vervollständigen die Sicht auf das vielschichtige Werk der Künstlerin. In ihrer Inszenierung, die nicht nur die Oberfläche der Leinwand in den Vordergrund rückt, sondern auch ihre objekthaften Qualitäten betont (durch niedrige Hängung oder eine Integration in die skulpturalen Werke), sind die Gemälde außerdem gleichzeitig Bildhauerei wie Malerei und verbinden sich so auf sinnfällige Weise mit den Installationen. Die abstrakten Darstellungen eröffnen Assoziationsräume und sind in der Wahl der Farben und Anordnung der Formen auf die gleiche Weise zwischen Intuition und präziser Setzung angesiedelt wie auch die skulpturalen Arbeiten von Cathy Wilkes.
Letztere eröffnen innerhalb der Ausstellungssituation jede für sich einen bühnenhaften Raum. Wie Einzelepisoden einer kontinuierlichen und nicht abgeschlossenen Erzählung wirken die raumgreifenden Arbeiten, die die Künstlerin für jeden Ausstellungsort neu zueinander in Beziehung setzt oder für diesen konzipiert. Es sind alltägliche, bekannte Fundstücke, die sie in ihren Bodenarbeiten vereint und mit abstrakten Formen ergänzt: Wasserkocher, Pflüge, Stofftiere, Kinderspielzeug, Wasserhähne, Pinsel, Ingenieurswerkzeug und vieles mehr. In diesen Zusammenhängen agieren die von Wilkes in letzter Zeit zunehmend eingesetzten menschlichen Figuren wie Schauspieler, seien es Schaufensterpuppen oder Pappmaché-Nachbildungen. In ihrem durch die objets trouvés definierten Handlungsraum umkreisen sie Themen wie "Kindheit", "Tod", "Geburt", "Liebe", "Verlust" und "Schmerz".
Ausgangspunkt der meisten Arbeiten von Cathy Wilkes ist die eigene Erfahrung, eine biografische Begebenheit. Im Fall der Hauptinstallation der Ausstellung z.B. war es der Tod des Vaters im vergangenen Jahr auf der einen Seite, auf der anderen die Geschichten des Alten Testaments um Babylon, die ihre Kindheit prägten. Ein aus dem Garten des Vaters ausgegrabener Betonblock mit Wasserhahn wird umringt von Figuren, die in ihren verzweifelten Posen wie erstarrt scheinen. Ein rostiger Pflug, mehrere Wasserkocher, Plüschtiere, Kinderspielzeug und etliche weitere Gegenstände vervollständigen das Ensemble zum Sinnbild einer emotionalen Dürre. Eine andere Installation besteht ausschließlich aus Gerätschaften aus der Werkstatt von Cathy Wilkes' Vater (ein Werkzeugmacher und Ingenieur). Eine weitere Skulptur nimmt ihren Ausgangspunkt bei Wilkes' Erfahrungen als zweifacher Mutter: Ein Pappmaché-Baby in typischer Kleinkindhaltung ist auf einem großen Tisch angeordnet. Doch eine riesige, aus dem Mund gestreckte Zunge verwandelt das Kindchenschema in eine gruselige Fratze. Hilfsbedürftigkeit wird zu Aggression. Das Kind ist umgeben von einem undurchdringlichen Drahtgewirr, das die Betrachter/innen auf Abstand hält. In seinem Geflecht haben sich getrocknete Porridgeflocken verfangen, wie sie sich vielleicht in den Haaren und der Kleidung eines Kindes in diesem Alter finden mögen, das mit Porridge gefüttert wird. Im Ergebnis gesteht Wilkes sich und uns die Zwiespältigkeit elterlicher Gefühle zu und entwirft ein Bild, das sich nicht dem Klischeebild romantisierender Mutterschaft unterordnet. Neben dem Baby befindet sich ein zweiter Tisch, auf dem einige weitere ihrer Gemälde sowie Gegenstände aus ihrem persönlichem Archiv angeordnet sind - altes Spielzeug, Kinderzeichnungen, die Bibel ihres Vaters, ihre eigene Bibel, ein Gedicht ihres Bruders, ein Schulaufsatz... Auf diese Weise wird auch hier der autobiografische Ansatz in ein allgemeines Sinnbild über Kindheit und deren Verlust überführt. Wie Doris Lesing es im Vorwort von Das goldene Notizbuch beschreibt: "Wenn man über sich selbst schreibt, schreibt man über andere (...) Die Weise, mit dem Problem der Subjektivität fertig zu werden (...), besteht darin, es als einen Mikrokosmos zu betrachten und auf diesem Wege das Persönliche allgemein zu machen."
Die Arbeiten von Cathy Wilkes erhalten ihre Spannung durch ihre Ansiedlung zwischen Gegensatzpaaren: Abstraktion steht neben Gegenständlichkeit, Konkret- neben Offenheit, Pathos neben Zurückhaltung, Fragiles neben Monumentalem, Autobiografisches neben Allgemeinem und Intitution neben exakt durchdachter Setzung. Im Ergebnis sind Wilkes' Arbeiten narrativ, ohne eine konkrete Geschichte zu erzählen, und biografisch, ohne den Betrachter/innen die Möglichkeit auf eigene Sichtweisen zu nehmen. Wilkes stellt Fragen nach den Grundpfeilern unserer Existenz und scheut sich dabei nicht vor pathetischen Gesten, Intuition und offensichtlicher Subjektivität, so verfemt diese Mittel in der eher konzeptuell geprägten Sprache aktueller Kunst auch sein mögen. Sie ist nicht auf der Suche nach Antworten, sondern zeigt bestimmte existentielle Befindlichkeiten auf. Insofern lässt sich ihr Vorgehen mit dem von guten Psychologen vergleichen, die nicht explizit aussprechen, sondern anleiten und auf eine Spur setzen, von der aus man aus eigener Kraft weiter gehen kann.
Neben all diesen Aspekten, die sich um Traditionen erst einmal nicht zu scheren scheinen, werden Wilkes' Werke immer auch von einem großen Interesse an bildhauerischen Fragestellungen und Traditionen getragen und erproben klassisch skulpturale Parameter wie Raum, Volumen, Distanzen und Formgebung.
Cathy Wilkes wurde 1966 in Belfast geboren und lebt in Glasgow. Sie wurde 2002 mit dem Baloise Art Prize ausgezeichnet und war 2008 für den Turner Prize nominiert.