Dem Beginn des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren widmet das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände eine ungewöhnliche Ausstellung. Die aufwändig gestaltete Rauminszenierung mit Panoramaprojektion erinnert den Betrachter daran, welche Schrecken der industrielle Maschinenkrieg hervorbrachte, deren Weiterentwicklung sich im Zweiten Weltkrieg noch steigerte und bis heute kein Ende gefunden hat.
Der Kontrast zu der im Rohbau verbliebenen Halle des NS-Baus könnte größer nicht sein, parallel wähnt man sich doch in einem der beliebten Strandcafés der Gegenwart: Liegestühle in weißem Sand und ein paar Strandkörbe, ein hölzerner Laufsteg. Allerdings begeben sich die Besucher in ein ebenso einladendes wie bedrohliches Szenario. Jenseits des Stegs wandelt sich ein erntereifes Getreidefeld in ein Schlachtfeld: niedergetretener Weizen, hastig aufgestellte Maschinengewehre, aufgewühlte Erde bestückt mit Kriegsschrott. Mit Schauern wendet sich der Betrachter ab, in Sorge was da wohl noch alles in der kriegsgeschundenen Erde zu erwarten ist.
Wellen branden an den sommerlichen Strand, ein Kind spielt im Vordergrund. Schnell vergisst man bei dem Blick auf ein 37 Meter breites filmisches Meerespanorama die über den Köpfen schwebenden Granaten und das von der Decke abgehängte, 36 Meter lange Rohr einer Fernkanone. Plötzlich fallen zwei Schüsse. Sie reißen die Besucher aus der Vision der sommerlichen Idylle. Diese Mischung zwischen Zuversicht und Irritation, Schönheit und Schrecken kennzeichnet die ganze Inszenierung und das folgende Filmerlebnis. "Die Geburt des Schreckens der Moderne" läuft als mehrteiliges Drama ab, das niemanden unberührt lassen wird. Die 30-minütige Rauminszenierung soll daran erinnern, dass die zunächst in sommerlicher Unbeschwertheit schnell verhallenden Schüsse von Sarajevo ein risikoreiches diplomatisches Ränkespiel in einem militärisch hochgerüsteten Europa auslösten.
Dem patriotisch verklärten Aufbruch in ein bis Weihnachten siegreich beendetes Abenteuer folgte die rasche Ernüchterung im industriell geprägten Krieg der Maschinen. Vier Jahre lang hausten an der Westfront Millionen zivilisierter, nunmehr uniformierter Menschen in Gräben und Erdhöhlen, um sich gegenseitig abzuschlachten. Sie wurden millionenfach verstümmelt, getötet und in den Trommelfeuern unter die Erde gepflügt. Hunderttausende Soldaten aller beteiligten Nationen fand man nie mehr auf.
Eine Kamera fliegt über die Landschaft, die vor 100 Jahren die Front war. Die endlose Fahrt scheint nicht mehr aufzuhören, sie begleitet die Vermisstenlisten, die Aufstellungen der Materialschlachten, Fotos von Soldaten und immer wieder historisches Filmmaterial. In einer verdichteten Collage aus historischem Film- und Bildmaterial, heutigen Sequenzen von Friedhöfen und Schlachtfeldern, O-Tönen, Musik, Zitaten und Karten schlägt die Inszenierung den Bogen vom Großen Krieg über den Nationalsozialismus zur Gegenwart. Welche Bedeutung hat der Erste Weltkrieg für uns heute? Es war die Geburt des Schreckens der Moderne, der sich in einem zweiten Weltkrieg vervielfachte und danach mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe unvorstellbare Dimensionen erreichte.
Trotz eines inzwischen gigantischen Vernichtungspotentials haben politische Krisen nach 1945 nicht zwangsläufig (aber fast...) zu neuerlichem Weltenbrand geführt. Mitteleuropa verharrt seit fast 70 Jahren in Frieden. In einer medial beherrschten Welt, deren Aussehen sich mit dem Ersten Weltkrieg nachhaltig veränderte, nehmen wir heute simultan Anteil an andernorts begrenzten Kriegen und Konflikten. Terroristisch organisierte Aktionen schließen jeden Ort der Welt als potentiellen Schauplatz ein. Gegenwärtig sind die aus Kriegsgebieten übertragenen Bilder für andere Staaten nicht unbedingt Vorboten eines Unwetters unbekannter Ausmaße, sondern allenfalls Wetterleuchten am Rand des globalen Dorfs. Aber das Raumszenario "Sommer Vierzehn" ist letztendlich zeitlos. Noch immer ruhen atomare Todesboten in den Raketensilos, und niemand weiß, ob und was möglicherweise einmal ihre Öffnung auslösen wird. Die Menschen haben es in ihrer Hand; sie hatten es auch 1914.