04.03.2008 - 28.06.2008
Museen sind Schatzhäuser der Geschichte, ihre Gegenstände bewahren wir als wertvolle Zeugnisse vergangener Kulturen. Durch das Sammeln werden die Dinge aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst und im Museum in neue Ordnungen eingefügt. Während dabei altes Wissen verloren geht, eröffnen sich durch das Ausstellen und Kombinieren von Objekten immer wieder neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und des Verständnisses. Vielleicht beruht aber der Reiz der Dinge im Museum nicht zuletzt darauf, dass sie trotz aller Erklärungen und Deutungen immer einen Rest an verborgener Bedeutung bewahren.
Das 2003 begonnene Projekt »Wunderkammer Museum« von Floris Neusüss und Renate Heyne fügt dieser Dimension des Unbekannten eine weitere Ebene hinzu. Mit ihren Fotogrammen von Gegenständen aus verschiedenen Spezialmuseen entführen die Künstler die Dinge in eine Bildersammlung, die in dieser Umordnung (oder Unordnung) neue Sinnebenen erschließt. Im Deutschen Museum wurden vor allem Kraftmaschinen, elektrotechnische Geräte und mathematische Modelle aufgenommen.
Die Bilderfindungen von Neusüss und Heyne sind in ihrem Herstellungsprozess genau kalkuliert, in der Ausführung bieten sich jedoch immer wieder überraschende Effekte. Der hohe Grad der Verfremdung, den diese Objekte im »lichtreichen Schatten« des Fotogramms erfahren, macht sie zugleich auf unerwartete Weise ästhetisch neu erfahrbar.
Floris Neusüss arbeitet seit über vierzig Jahren mit dem Fotogramm. Von den ersten »Nudogrammen« menschlicher Körper bis zu den jüngsten, zusammen mit Renate Heyne realisierten Arbeiten hat der Künstler immer wieder Varianten dieses Mediums in verschiedenen Werkgruppen erkundet. Neusüss hat lange Zeit ausschließlich mit schwarz-weißem Fotopapier gearbeitet. Seit dieses Material jedoch in Folge der digitalen Fotografie immer schwerer zu beschaffen ist, wird auch farbempfindliches Papier verwendet, das die Farbe der Lichtquelle registriert.
Das Fotogramm ist ein Schattenbild, das ohne Kamera direkt auf sensibilisiertem Trägermaterial aufgezeichnet wird. Jedes Objekt zwischen einer Lichtquelle und der lichtempfindlichen Schicht hinterlässt dabei abhängig von seiner Position eine mehr oder weniger deutliche Spur. Da das Fotogramm gewöhnlich direkt auf Fotopapier aufgenommen und nach der Belichtung wie üblich verarbeitet wird, entsteht dabei ein Unikat. Von der Kontaktkopie, bei der flache, undurchsichtige Gegenstände unmittelbar auf dem Papier aufliegen, bis hin zum Schattenwurf aus großer Distanz ergeben sich dabei immer neue Variationen der »Ablichtung«.
Der Einsatz mehrerer Lichtquellen aus verschiedenen Perspektiven, die Mehrfachbelichtung und die nachträgliche Solarisation wie auch die Arbeit mit Umkehrpapier, bei dem das Positiv unmittelbar in der Aufnahmeschicht erzeugt wird, eröffnen diesem Verfahren ein reiches Spektrum der Bildgestaltung.
Als Laszlo Moholy-Nagy 1925 den Begriff Fotogramm für die kameralose Fotografie in der Kunst definierte, war diese Praxis in der Wissenschaft schon lange als bildgebendes Verfahren im Einsatz. In Ergänzung zu den Arbeiten von Neusüss und Heyne bietet die Ausstellung Gelegenheit, den Weg von Henry Fox Talbots »photogenic drawings« bis hin zur Strukturanalyse von Kristallen in Erstpublikationen zu verfolgen. Auch die Genese des Fotogramms in der bildenden Kunst wird anhand ausgewählter Veröffentlichungen vorgestellt.