c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
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c/o Berlin

c/o Berlin, (Foto: David von Becker)
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unheimlich vertraut

10.09.2011 - 04.12.2011
Ein vermummter Mann schaut von einem Balkon. Ein Flugzeug schlägt in einen Hochhausturm ein. Sofort sind die Bilder vor unserem Auge. Wir wissen exakt, um welche Ereignisse es sich handelt. Denn Bilder besitzen eine gewaltige Macht. Sie halten nicht nur den entscheidenden Moment fest, sondern beeinflussen den öffentlichen Diskurs und fordern zu Reflexion und Reaktion heraus. Besonders nach Katastrophen und traumatischen Ereignissen lässt sich die Omnipräsenz der Bilder verorten. Bilder vom Terror haben eine enorme, nachhaltige Wirkung, der man sich nicht entziehen kann. Sie brennen sich tief in unser kollektives Gedächtnis ein. Die von C/O Berlin kuratierte Ausstellung "unheimlich vertraut" untersucht die Bedeutung von Fotografie für unsere tägliche Bildkultur anhand der visuellen Verarbeitung von unterschiedlichen Terrorbildern der letzen Jahrzehnte. München 1972 und New York 2001 bilden die historischen Eckpfeiler. Über die künstlerische Auseinandersetzung werden politische Bilder in Frage gestellt, historische Bildquellen machen Konstruktion und Illusion von Fotografie sichtbar. Die Ausstellung entsteht anlässlich des 10. Jahrestages des 11. September 2001 und wurde von Felix Hoffmann für C/O Berlin kuratiert. Es werden ca. 200 Arbeiten aus dem Bildarchiv des SPIEGEL sowie von rund 30 Künstlern gezeigt - unter anderem von Thomas Ruff, Simon Menner, Peter Piller, Christoph Draeger, Thomas Hirschhorn, G.R.A.M., Helmut Newton, Walid Raad, Gael Peltier, Michael Schirner, Robert Boyd, Pascale Couvert, Natalie Czech, Reymond Deparden, Michael Schäfer, Marc Volk und Malte Wandel. Nach welcher Logik funktionieren Verwendung und Verbreitung von Bildern in der modernen Mediengesellschaft? Gibt es eine Art von Aufmerksamkeitsterrorismus im digitalen Zeitalter? Wann ist ein Ereignis von globaler Bedeutung und wie stark konditionieren und synchronisieren die Medien ein solches? Oft lassen sich erst in der Auseinandersetzung mit den Bildern vom Terror die Struktur und Funktionsweise des journalistischen Bildes freilegen. Die medialen Bilder des Terrors waren und sind mehr als reine Abbildungen, die auf einen Sachverhalt oder ein Ereignis außerhalb ihrer eignen Existenz verweisen oder ein Ereignis dokumentieren. Sie sind mehr als Medien, die unter Nutzung ihres ästhetischen Potentials Deutungen transportieren. Diese Bilder besitzen die Fähigkeit, Realität zu erzeugen. Historischer Ausgangspunkt der Ausstellung ist der Angriff eines palästinenischen Terrorkommandos auf die israelische Delegation bei den 20. Olympischen Sommerspielen in München. Erstmals fand ein terroristischer Akt unmittelbar vor den geöffneten Kameraaugen statt - und damit unmittelbar vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Durch die Live-Übertragung im Fernsehen erfolgte eine quantitative Veränderung des Terrors hin zu einer massenkommunikativen Strategie. Die Bildinszenierung ist Teil des terroritischen Aktes. In der modernen Mediengesellschaft wird das Bild quasi zur Waffe und zum Ziel. Und von der Repräsentation der Tat im Bild zum Bild als Tat ist es ein kurzer Weg. Als extreme Form der Erzeugung von terroristischen Bildereignissen gelten die Anschläge zum 11. September 2001 - dem meist fotografierten und gefilmten Ereignis der Mediengeschichte. Ihrer Verwertungslogik folgend beginnen die Medien weltweit am selben Tag einige wenige Bilder und Sequenzen endlos zu wiederholen und damit medial auf Dauer zu stellen. Die terroristische Strategie, größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen, und die kapitalistische Verwertungslogik der Medien gehen eine symbiotische Beziehung ein. Die Medien werden zwangsläufig zu Kollaborateuren, zu Mittlern zwischen Terroristen und Publikum. Trotz einer immensen Bilderflut erscheinen unmittelbar nach den Ereignissen nur rund 30 unterschiedliche Fotografien auf die Titelseiten weltweit. Ebenso werden im Fehrnsehen immer dieselben Videos in Endlosschleifen wiederholt. Die internationale Konzentration und Zusammenarbeit der Bildagenturen reduziert die Bildauswahl zusätzlich. Nach Jahren bleiben jedoch nur noch fünf bis zehn Motive im kollektiven Bewusstsein. Diese Beschränkung der öffentlichen Berichterstattung über das Geschehen auf wenige Bildtypen ist kennzeichend für den medialen Umgang mit Terror. Historische Aufnahmen werden zitiert, neue Bilder werden zu Ikonen, zu medialen Archetypen. So erscheinen diese Bildmuster uns allen "unheimlich" vertraut. Das Grauen, das in den Alltag und das gesellschaftliche System einbricht, wird fassbar. Vertrautes im Unfassbaren - ein hilfloser Aktionismus gegen die Ohnmacht.

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