Schwelbrand hat sich durch die Bilder gefressen, Wasserflecken sind sichtbar. Häuser, Fassaden, Straßen, Menschen und Landschaften überlagern und durchdringen sich, reissen ab und fügen sich neu zusammen. Es sind Fragmente fotografischer Dokumente der alten und neuen Stadt Dresden – ostentativ beschädigt, aus der Form gebracht und nur partiell entzifferbar. Welcher Gewalt wurden sie ausgesetzt? Und was ist der Grund für ihre Zerstörung? Luise Schröder begibt sich auf eine visuelle Spurensuche durch die aktuellen und historischen, kulturellen und politischen Schichten der Stadt. Sie arbeitet sich künstlerisch am Mythos Dresden zwischen Bombardierung 1945 und Jahrhundertflut im Jahr 2002 ab – seiner bildlichen Reproduktion sowie dessen Fortschreibung in die Gegenwart. Der Umgang mit Dresden gleicht einem ideologischen Schlachtfeld, welches von unterschiedlichen Akteuren vereinnahmt und geformt wird. Dieses Schlachtfeld gibt Luise Schröder in ihrer Serie präzise und verstörend wieder und hinterfragt so die permanenten, fluiden Re-Konstruktionsversuche eines kollektiven Gedenkens.
Neben den sieben Bildern der Serie präsentiert Luise Schröder in einer Videoinstallation als zweiten, gleichwertig signifikanten Teil der Arbeit den Vorgang der Zerstörung. Zu Beginn platziert sie Bildbände, singuläre Fotografien und Bücher auf einem Tisch. Konzentriert ordnet sie das Ausgangsmaterial, korrigiert Leerstellen. Dann Stille – und mit einem Mal ergießen sich Eimer gefüllt mit Wasser. Bücher und vereinzelte Bilder werden durch die Wucht davongeschwemmt, Seiten werden umgeschlagen, kleben aufeinander. Wasserlachen überall. Erneut Stille – dann wird das Liegengebliebene mittels eines Flammenwerfers entzündet. Papier fängt Feuer, Seiten zerbersten. Gelöscht wird mit Sand. Nachdem die Sandschichten abgetragen sind, trennt und schneidet Luise Schröder Teile der Seiten, manchmal auch eine ganze Seite aus den Rudimenten heraus. Übrig bleiben das kümmerliche Bild verwüsteter Bücher und eine Verstörung seitens des Rezipienten.
Luise Schröder hat diese Performance mit Kalkül konstruiert und durchgeführt. Sie thematisiert zwei historisch prägende Ereignisse, indem sie diese symbolisch nachstellt. In einer Art kritischem Reenactment eröffnet sie damit den Diskurs über den Mythos der Stadt. Als Trümmerfrau, Archäologin und Genealogin legt sie Hand an die Historie und hinterfragt so die identitätsstiftenden Mythen als Ursprungsgeschichten um ihren Wahrheitsgehalt. Bei Mythen geht es eben nicht um die getreue Schilderung eines lang zurückliegenden Ereignisses, sondern um die Erklärung der Gegenwart. Mythen sind idealtypische Erzählungen mit appelativem Charakter, die in emotionsgeladenen Geschichten erzählt werden. Sie haben nur Bedeutung für das heutige Sein, Tun und Wollen. Gerade große geschichtliche Herausforderungen wie Katastrophen, Kriege und Naturereignisse sind wichtige Quellen für diese Geschichten und die heutige Identitätsbildung. Welche Mythen gepflegt und welche entmythologisiert werden, ist nur eine Frage der jeweiligen Macht und des Zeitgeistes. So wurde etwa die Bombardierung Dresdens direkt nach dem Krieg, während der DDR und nach der Wende immer wieder neu interpretiert. Mit ihrer Arbeit fragt Luise Schröder, wie, warum und von wem dieser „locus memoriae“ zum Kristallisationspunkt des kollektiven Gedächtnisses benutzt wird, und wie sich der Bedeutungsgehalt dieser Symbole im Laufe der Geschichte bis in die Gegenwart verändert.
Luise Schröder, geboren 1982 in Potsdam, studierte künstlerische Fotografie sowie Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Sie war an Ausstellungen und Projekten in Sofia, Istanbul, Litauen, Washington, Japan und Murmansk beteiligt und stellte 2012 bei der 7. Berlin Biennale in den Kunstwerken zusammen mit Anna Baranowski aus. Ausgezeichnet wurde sie unter anderem als Preisträgerin bei gute aussichten 2011/12 new german photography, bei der BM Mediale 2009 und 2004 beim Deutschen Jugendfotopreis. Luise Schröder lebt und arbeitet in Leipzig.
Hannah Petersohn, geboren 1982 in Berlin, studierte Philosophie, Kulturwissenschaften und Germanistische Linguistik an der Humboldt Universität Berlin und der Sorbonne in Paris. Sie arbeitete als freie Journalistin für das Magazin DER SPIEGEL, das ZDF, den RBB, die Deutsche Welle und die Freie Presse. Daneben assistierte sie dem Künstler Olaf Nicolai. In ihrer Magisterarbeit untersucht sie den Einfluss von Walter Benjamins Schriften auf die Konzepte und Realisationen der Inszenierten Fotografie Jeff Walls. Seit 2012 macht sie eine Ausbildung zur Redakteurin. Hannah Petersohn lebt und arbeitet in Berlin. Nachwuchs fördern und ihm eine erste Chance für die Zukunft geben – Talents ist kreativer Campus für junge internationale Gegenwartsfotografie und Kunstkritik. Seit 2006 fördert der C/O’s e.V. mit dieser Ausstellungsreihe angehende Fotografen und Kritiker, die sich an der Schwelle zwischen Ausbildung und Beruf befinden. Begleitet wird jede Einzelausstellung von einer Publikation, in der Bild und Text einen Dialog eingehen. Talents ist ein internationaler Wettbewerb, der jährlich ausgeschrieben wird. Aus den eingereichten Bewerbungen wählt eine Fachjury jeweils vier Fotografen für einen Jahrgang aus. Mit Hilfe starker Partnerschaften schickt C/O Berlin die Fotografen und Kunsthistoriker in die Welt. Dieses in Europa einzigartige Programm ist für viele junge Künstler der Ausgangspunkt für Ausstellungen, z.B. in den Goethe-Instituten Stockholm, New York oder Santiago de Chile.