Im Eingangsbereich der Berlinischen Galerie erklingt für ein Jahr eine Arie. „Chamber Music (Vestibule)“ – so der Titel der Musikinstallation von Ari Benjamin Meyers – basiert auf einem Stück, das der Künstler eigens für den sogenannten Windfang komponiert hat. In welchem Umfang sich das Werk entfaltet und ob es überhaupt hörbar wird, hängt vom Verhalten Einzelner und von der Betriebsamkeit im Raum ab.
Gedanklicher Ausgangspunkt der Arie ist Henry Purcells „When I am laid in earth“ aus der Barockoper „Dido und Aeneas“. Meyers Komposition greift die zentrale Passage dieses Gesangsstücks, das Flehen der Dido („remember me“) auf, und spielt ausgehend davon mit den Prozessen des Erinnerns und Vergessens. Das Stück bezieht sich damit inhaltlich auf den Kontext, in dem es erklingt: Das Ein- und Hinaustreten der Besucher aus dem Museum wird als flüchtiger Moment musikalisch thematisiert.
Es handelt sich um Musik, die weniger mit dem Gedanken an ein Publikum als vielmehr für eine spezifische räumliche Situation komponiert wurde: Der Windfang als Durchgangsraum bestimmt ihre Wahrnehmung. Die Arie wurde deshalb mit der Sopranistin Nicole Chevalier (Solistin an der Komischen Oper Berlin) in eben jenem Glaskubus aufgenommen und ist in jeder Hinsicht an den Ort der Aufnahme gebunden. Die Musik ist regelrecht darin gefangen und wird den Windfang zwar nicht verlassen, aber von den Menschen, die sie wahrnehmen, weitergetragen.
„Chamber Music (Vestibule)“ kann als Kammermusik in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes verstanden werden. Die Installation ermöglicht ein privates Erleben von Musik, wenn das Charakteristikum des Genres Kammermusik gewährleistet ist: Musik und einen exklusiven Kreis von Zuhörern räumlich zu konzentrieren. Im Falle großer Betriebsamkeit bleibt der Raum stumm oder das Stück ertönt lediglich ausschnitthaft. Was also machen diejenigen, die der Arie ungestört lauschen wollen? Sprechen sie sich ab? Drücken sie ihren Wunsch, privat mit der Musik zu sein, durch Gesten aus? Wie beeinflussen die einsetzenden Klänge die Bewegungen der Besucher? Und wie verändert sich ihre Wahrnehmung des Museumsbesuchs sowie des Raumes jenseits der Institution mit dem zufälligen oder bewussten Erleben der Musik?
Die Musikinstallation wird ermöglicht durch den Jungen Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder. Dieser unterstützt Museumsvolontäre mit Reisestipendien zur Art Basel und hat in diesem Kontext im vergangenen Jahr erstmals ein „Volontärsprojekt“ ausgeschrieben. Die Förderung ging an Christina Landbrecht (ehemals Volontärin der Berlinischen Galerie), die das Projekt kuratiert hat.
Ari Benjamin Meyers (*1972 in New York) ist ausgebildeter Komponist und Dirigent und kam 1996 mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin. Neben diversen Musikproduktionen an Staatstheatern und Opernhäusern arbeitete er unter anderem mit den Einstürzenden Neubauten und entwickelte die Musikreihe Club Redux. Ab 2007 wurden seine Arbeiten vermehrt im Kunstkontext präsentiert. Es entstanden viel beachtete Werke in Zusammenarbeit mit Künstlern wie Anri Sala, Dominique Gonzalez-Foerster und Tino Sehgal, die international gezeigt wurden. In jüngsten Projekten und Kompositionen wie “The Lightning and its Flash (solo for conductor)” (2011), Symphony X” (2012) und “Songbook” (2013) erforscht er Strukturen, die die performative und immaterielle Seite der Musik neu definieren