Or, a building ist Ruth Buchanans bislang umfangreichste Einzelausstellung in Deutschland und Teil einer Kooperation mit dem Institute of Modern Art (IMA) in Brisbane und dem Kunstverein Harburger Bahnhof in Hamburg. Buchanans neuer Werkkomplex besteht aus drei Elementen: einer Performance, einem Film und einer Ausstellung. Während die Performance und der Film im IMA gezeigt werden, steht im Badischen Kunstverein die Ausstellung im Zentrum.
Buchanan konstruiert materielle Räume, mit denen sie die Grenzen künstlerischer Praxis auslotet. Mit Hilfe verschiedenster Medien wie Skulptur, Sound, Text, Fotografie, Video, Performance und Grafik befragt Buchanan den Status des Materials als Form und Träger von Information. Ihr Interesse gilt (Ordnungs-)Systemen, die in der Kulturproduktion zur Anwendung kommen: Formate des Displays (Buch oder Vitrine), Strukturen zur Aufbewahrung (Sammlung, Archiv oder Bücherei) oder Räume der Bearbeitung (Atelier, Galerie oder Museum). In ihren Installationen zitiert Buchanan Ästhetiken dieser Kontexte, unterzieht sie aber einer wiederholten Transformation.
In ihrer neuen Werkgruppe ist es immer das Subjekt (ein oder mehrere Körper), das mit einer spezifischen Form der Organisation und Verarbeitung von Material zusammentrifft. In Or, a building kreist diese „Begegnung“ um das IBM-Haus in Berlin-Charlottenburg, das der Architekt Rolf Gutbrod 1961 erbaute. In einer verglasten Halle im Souterrain wurden die frühen IBM-Großrechner als „Elektronengehirn hinter Glas“ öffentlich präsentiert. In ihren räumlichen Anordnungen setzt sich Buchanan anhand von Möbeln, Objekten, Stoffen oder Grafiken mit verschiedenen Modellen der Aufbewahrung und Präsentation auseinander, die sich so oder ähnlich auch in dem IBM-Haus befunden haben könnten. Die Ausstellung umfasst zudem Archivmaterial über das „gläserne Gehirn“ und die Studentendemonstrationen im Mai 1970, die dieses schwer beschädigten. Das Gebäude wird so zum Modell eines Organisationssystems oder zur Metapher eines Apparats, der sich selbst in eine enge Analogie zum Körper setzt – mit einem Gehirn als Zentrum – und dabei erfahren muss, dass sich dieser Körper auch plötzlich massiv gegen ihn wenden kann.
Sprache und Kommunikation ist ein zentrales Moment der Ausstellung und in Buchanans Praxis per se: Zeichen und Symbole informatorischer Displays verbinden sich in Diagrammen und auf Bannern mit eigenen Texten, die ähnlich der Konkreten Poesie die visuellen und akustischen Dimensionen von Sprache in den Mittelpunkt stellen. So ist die neue Audioarbeit für den Badischen Kunstverein beispielsweise weniger narrativ, als vielmehr eine dichte Zusammenstellung verschiedener Motive über die Leistungen des Gehirns und den künstlerischen Prozess an sich. In diesem Sinne ist Buchanans Arbeit vor allem auch eine performative, indem sie Momente der Zeit, Sprache, Bewegung und des Körpers erprobt. In diesen Choreografien ergibt sich ein präzises Wechselspiel zwischen den Objekten als Skulpturen, Requisiten oder Architekturen; der Sprache als Material, Erzählung oder Diktum; dem Raum als Bühne, Aufbewahrungsort oder Gehirn und dem Körper als Zuschauer und Akteur zugleich.
Ruth Buchanan (*1980 in New Plymouth, Neuseeland) lebt und arbeitet in Berlin. Ihre jüngsten Einzelausstellungen wurden u.a. präsentiert im Hamburger Bahnhof, Berlin (2015); Hopkinson Mossman, Auckland (2014); Grazer Kunstverein, Graz (2011); Casco – Office for Art, Design and Theory, Utrecht (2010); The Showroom, London (2009). Viele weitere Institutionen zeigten ihre Performances: IMA, Brisbane (2015);Tate Modern, London (2011); Kunsthaus Bregenz (2010); Frascati Theatre, Amsterdam (2009); Rietveld Schröderhuis, Utrecht (2009). Buchanan veröffentlichte zudem Künstlerbücher wie „The weather, a building“ (Sternberg Press, Berlin 2012) und „Lying Freely“ (Casco – Office for Art, Design and Theory, Utrecht 2010).