In vielen seiner vorherigen Serien hat sich Hans-Christian Schink mit dem Gegensatz zwischen Natur und Kultur auseinander gesetzt, in denen der Mensch mächtiger erscheint als die Natur, welche zum Opfer der Zivilisation wird. Mit der Serie Tōhoku, die in der gleichnamigen Region Japans ein Jahr nach dem verheerenden Tsunami entstand, macht Schink eine Kehrtwende und zeigt, dass es auch andersherum sein kann. Im Vergleich zu seinen vorherigen Bildkonstruktionen , in denen die Menschenleere ein Ergebnis war von Auswahl und Perspektive, wurde hier menschliches Leben von einer brachialen Naturgewalt ausgelöscht.
Eine postapokalyptische Stimmung legt sich über die malerisch verschneiten Landschaften, die die Schönheit japanischer Holzschnitte heraufbeschwören. Die Landschaft ist wie eingefroren. Eine dünne Schneeschicht bedeckt die Spuren der Katastrophe, die nur noch latent sichtbar sind. Blank gereinigte Ebenen, auf der sich vormals Küstenstädte erhoben, verbleiben im Moment der Erstarrung. In der abgründigen Stille, der Unwirklichkeit und Entrücktheit, die Schinks Bilder ausstrahlen, lässt sich die Katastrophe beinahe physisch nach empfinden. Dabei vermengt Schinks auf Strategien der Romantik rekurrierende Bildsprache des Erhabenen den Schrecken des Naturdramas mit einem ästhetischen Bildgefüge zu einem spannungsreichen Ausdruck des Sublimen. Die narrative Potenz der überwältigenden Überblickslandschaften wird verstärkt durch ein gemischtes Gefühl von Faszination und Bedrohung.
Das Wasser trieb Häuser, Schiffe und Fahrzeuge wie Spielzeugfiguren vor sich her und setzte sie im Landesinneren willkürlich an anderer Stelle ab. Die riesigen, vom Küstenschutz gebauten Betonstützen wurden wild durcheinander gewirbelt, als wären sie aus Styropor; ein roter buddhistischer Holztempel wirkt wie von einem Riesen aus seinem Fundament herausgelöst und, in seiner Gänze belassen, am Waldrand abgestellt; ein Bus „parkt“ auf einem Haus; ein Fischkutter liegt gestrandet inmitten eines Reisfelds. Die stehengebliebenen Hausruinen, dem topographischen Stil von Bernd und Hilla Becher verpflichtet, unter gleichmäßig fahlem Lichtfrontal, diagonal oder seitlich bildmittig gesetzt, betören durch ihre skulpturale Schönheit. Zwischen die großflächig angelegten Landschaftspanoramen eingestreut, erzeugen diese Bestandsaufnahmen der Verwüstungen eine dem distanzierten Blick nicht gegebene Unmittelbarkeit, die berührt.
„Selbst bei zunächst unverdächtigen Aufnahmen spürt man intuitiv eine unterschwellige Spannung, eine Art Phantomschmerz an den Stellen, wo zuvor Menschen gelebt und ihre Häuser gestan den haben“, schreibt Denis Brudna in einer Rezension von Hans-Christian Schinks Buch Tōhoku (Hatje Cantz 2013). Aber es gibt Linderung. Bald schon entdeckt man in einigen Aufnahmen winzig kleine Menschen, wie die Surfer an einem Strand inmitten fallender Schneeflocken. So minimal die Zeichen sind, so deutlich ist deren Botschaft: Das Leben geht weiter.