Fotografien von Arvid Gutschow (* 2.10.1900, Hamburg – 14.5.1984, Seebergen bei Bremen) sind bisher nur Kennern bekannt. Eine umfassende Schenkung seiner Fotografien nimmt die Alfred Ehrhardt Stiftung zum Anlass, diesem weitgehend in Vergessenheit geratenen Fotokünstler eine Ausstellung zu widmen, dessen Blick und Bildthematik denen von Alfred Ehrhardt (* 5.3.1901, Triptis – 28.5.1984, Hamburg) nahe stehen und vergleichbar sind.
Schon 1929 gehörte Arvid Gutschow mit 23 Ausstellungsexponaten zu den Protagonisten der wegweisenden Internationalen Wanderausstellung des Deutschen Werkbundes Film und Foto in Stuttgart. Seine Aufnahmen hielten Einzug in verschiedene Zeitschriften und Magazine der 1920er und 1930er Jahre, so unter anderem in Der Querschnitt, Atlantis, Koralle, Das Deutsche Lichtbild und Photographie Arts et Métiers Graphiques.
Obgleich international als Fotograf anerkannt, stellte Gutschow nach 1929 nur selten seine Fotografien in Museen aus. Hierin könnte ein Grund liegen, weshalb sein Name in Vergessenheit geriet. Der Nachlassverwalter von Arvid Gutschow, Hans Jürgen Sieker, betitelte ihn als „Pionier des Neues Sehens in Natur und Landschaft“. Diesen bedeutsamen Vorreiter der Neuen Fotografie möchte die Alfred Ehrhardt Stiftung in den musealen Raum holen und die Aufmerksamkeit auf sein spannendes Werk richten.
Aufgewachsen im Bürgertum Hamburg-Blankeneses kam Arvid Gutschow durch seinen Vater, einem passionierten Hobbyfotografen, bereits sehr früh mit dem Medium Fotografie in Kontakt. Nach dem Abitur nahm Gutschow ein Jurastudium auf, nebenher fotografierte er. Dabei interessierten ihn besonders Themen, die er in der Natur an Elbe und Nordsee vorfand wie Wasser, Sonne und Sand. Nach einem Studium in Kiel, Hamburg, Heidelberg und München, abgeschlossener Promotion und erfolgreichem Assessorexamen trat Gutschow 1926 bei der Landherrenschaft Hamburg in den Staatsdienst ein, aus dem er Mitte 1948 auf eigenen Wunsch ausschied. Zuletzt verantwortete er als Senatsdirektor maßgeblich die Abfallaufbereitung in Hamburg. Im Anschluss an seine frühzeitige Pensionierung beschäftigte er sich intensiv mit Landwirtschaft, Fragen der Umweltzerstörung, Problemen der Entwicklungsländer und fotografierte auf seinen Reisen nach Indien.
Einerseits werden die Landschaftsaufnahmen der beiden Fotografie-Autodidakten Gutschow und Ehrhardt gegenüber gestellt. Gutschows Fotografien entstanden im Winter 1928 auf Sylt und wurden teilweise 1930 im Bildband See Sand Sonne (Gebrüder Enoch Verlag) veröffentlicht. Diese frühe Publikation gehört zu den stilbildenden Fotobüchern abstrahierender Landschaftsfotografie und galt seinerzeit wegen seines Layouts als besonders progressiv. Der Bildband zeigt 75 Aufnahmen von Meer, Watt, Strand, Dünen und Küstenpflanzen ausschließlich auf der rechten Buchseite, die exakten Titel sind vor den Bildteil gesetzt – ein Novum damals. Nur vereinzelt tauchen in diesen Fotografien Hinweise auf menschliche Eingriffe in die Natur auf. Erst auf den letzten Seiten des Buches sind verschiedene Ansichten von Buhnen, einer Fischreuse und weidender Schafe erkennbar. Für Hans Jürgen Sieker ist „Arvid Gutschow vielleicht der erste Fotograf, der sich die neuen, von der Tradition befreiten Gestaltungsmittel ganz selbstverständlich bei der Realisierung einer umfangreichen themenbezogenen Bildserie zunutze machte.“ Einige Zeit nach Gutschows Publikation, im Oktober 1937, erscheint Alfred Ehrhardts erster Fotoband Das Watt beim Hamburger Verleger Heinrich Ellermann, im Jahr darauf sein zweiter Die Kurische Nehrung. Aufnahmen aus diesen Serien stehen den Wattlandschaften Gutschows gegenüber und verdeutlichen das Interesse beider Fotografen an der Entstehung und Auflösung von Strukturen und Mustern.
Andererseits widmet sich die Ausstellung ausgewählten Industrie- und Landwirtschafts-fotografien Gutschows, die einen erheblichen Teil seines Oeuvres ausmachen. Anfang der 1950er Jahre schuf er jene Landschaftsreihen rund um seinen späteren Wohnsitz Seebergen bei Bremen, aber auch beeindruckende Ablichtungen von Industriebetrieben wie der Hannoverschen Maschinenbau AG Hanomag oder der Aktien-Gesellschaft „Weser“. Diesen Arbeiten wohnt eine gestalterische und formale Strenge inne, die der renommierte Hamburger Fotohistoriker Fritz Kempe 1956 so beschreibt: „Gutschow (…) kultiviert: die Kunst des Einengens, Abstrahierens und Komprimierens. Dazugewonnen hat er eine glänzende Technik. (...) Aus dem ständigen Leben in der Natur wächst ihm Kraft für die geistige Strenge seiner Fotografie.“