31.01.2009 - 25.04.2009
In Olaf Kühnemanns Arbeiten ist die Familie emotionaler Fluchtpunkt und künstlerischer Gegenstand zugleich. Die Grundlage seiner Arbeiten bilden dabei persönliche Familienphotographien, die der junge Künstler in seinen Gemälden stilisiert. Die ständige Beschäftigung mit dem komplexen Innenleben der Familie ermöglicht Olaf Kühnemann darüber hinaus Überlegungen zum Wesen der Kunst anzustellen. Die Kunstwelt und die Familie zeigt Olaf Kühnemann als vielfach verzweigtes System, in dem sich immer wieder die Linien kreuzen und Brüche erkennbar werden.
Olaf Kühnemann wird 1972 in Basel geboren. Die Stationen seines Lebens sind eng mit der Entwicklung der Familie verknüpft: Menschen trennen sich, neue kommen hinzu, Städte und Orte wechseln. Die ständige Wandlung bildet den Kern von Kühnemanns Arbeiten. Er blickt auf sie zurück, ohne den Betrachter über die genauen Umstände in Kenntnis zu setzen. Gefühle und Empfindungen lassen sich allenfalls erahnen. Die neuesten Arbeiten überraschen den Besucher mit ihrer düsteren Atmosphäre. Die Darstellung ist abstrakt gehalten. Fast scheint es, als sei Kühnemann auf den Grund eines Geheimnisses vorgedrungen. Die Motive werden von einer unheimlichen Grundstimmung erfasst: die Pferde auf „Karussell, 2008“ drehen sich losgelöst vor einem schwarzem Hintergrund, ein Auto verschwindet führerlos in der Nacht. Eine andere Arbeit zeigt die Großeltern als geisterhafte Schemen – Olaf Kühnemann hat sie nicht kennen lernen dürfen. Wie Schatten der Vergangenheit werden die Personen sichtbar gemacht.
Olaf Kühnemanns Werdegang beginnt in Israel als Schüler des Bauzeichners und Bildhauers Zvi Lachman. Nach einem Aufenthalt in New York kehrt er nach Israel zurück, wo er als Assistent in der Givon Galerie in Tel Aviv arbeitet. Im engen Kontakt mit der israelischen Kunstszene schärft er darüber hinaus seinen eigenen Blick. Schon bald sucht er die Herausforderung einer unabhängigen Existenz als Künstler. In der Fremde kehrt Kühnemann an den Ursprung seiner Identität zurück: die konzentrierte Beschäftigung mit Familienfotos wird zu einer wichtigen Inspirationsquelle. Seine Eltern, die Geschwister, er selbst als Kind werden zu ständigen Begleitern seines Werdegangs. In ihnen findet er die Vertrautheit, die er für seine Arbeit als Künstler benötigt. Das Nachdenken über das familiäre Beziehungsgeflecht mündet schließlich in ihrer Auseinandersetzung in der Malerei.
Das großformatige Aquarell „Susanne, 2006“ bildet den Übergang zwischen den Galerieräumen – für den Besucher ist es zugleich der Schritt aus der geheimnisvollen Düsternis heraus. In der kleinformatigen Bilderserie „Family Papers“ skizziert Kühnemann die Familienmitglieder in transparenten Aquarellfarben. Zärtlich und behutsam geht der Künstler mit den ihm so vertrauten Personen um. Er löst sie aus dem Kontext der Fotografie und lässt sie auf weißem Hintergrund schweben. Scheinbar losgelöst voneinander, hängen die Papierarbeiten im Raum. So erwecken sie den Eindruck von verblassenden Fotografien. Ähnlich flüchtiger Erinnerungen, drohen sie fortgeweht zu werden. Melancholisch und nüchtern zugleich bewahrt Olaf Kühnemann sie vor dem Verschwinden. Dem Besucher eröffnet sich ein Stammbaum auf Papier. Die Arbeit „Ermitage, 2005-2007“ zeigt die Mutter Christiane mit ihren vier kleinen Kindern. Doch das scheinbare Idyll wird von einer seltsamen Unruhe erfasst: der Wald ist bereits in Auflösung begriffen, die Perspektive beginnt sich zu verzerren. Bald schon wird das Familienleben durch Umzüge und Spannungen gestört. Olaf Kühnemanns Blick auf die Familie ist nicht nostalgisch verklärt. Vielmehr gelingt es ihm, innere Zustände und Gefühlswelten mit nüchterner Klarheit darzustellen. Der distanzierte und fragile Ausdruck der Papierarbeiten reflektiert zugleich Kühnemanns eigene Entwicklung als Maler. In den darauffolgenden Jahren wird sein Stil zunehmend selbstbewusst und befreiter.
Weiterhin bilden die Familienfotos einen zentralen Bestandteil in Olaf Kühnemanns Arbeit. Allerdings hat sich nun die Perspektive geändert: Was befindet sich hinter den Figuren? In welcher Beziehung stehen Personen und Umgebung? Waren die kleinformatigen Papierarbeiten noch von einer Zerbrechlichkeit geprägt, malt Kühnemann nun mit kräftigen, natürlichen Ölfarben auf großformatige Holzplatten. Die Figuren verschwinden aus den Bildern. In teilweise abstrahierter Form rücken Landschaften, Häuser, Innenräume und Objekte in den Mittelpunkt. Die Materialität des Holzes lässt die behagliche Wärme der Räume spürbar werden. Im Kontrast zu den lichten Aquarellen beherrschen nun satte Töne das Bild. Im Mittelpunkt des Raumes steht die Darstellung eines Waldes auf Hornby Island, Vancouver. Wieder ist es eine Fotografie, die Kühnemann zu dieser Arbeit inspirierte: sie zeigt Olaf Kühnemanns Mutter und ihren Lebenspartner auf Bänken an einem Holztisch, vor dem Hintergrund des Waldes. Mit einem Fernglas blickt Mutter Christiane in die Natur, sein Blick folgt dem ihrigen. Auf Kühnemanns Bild fehlen die Figuren. Stattdessen nimmt der Wald den vollständigen Blickraum des Besuchers ein. Der oft genannte „Stammbaum“ ist auch hier präsent – als Sitzmöglichkeit im Ausstellungsraum, von wo aus die Besucher dem Blick der Figuren folgen können. Die Verbindung zwischen dem Material Holz und seiner Darstellung wird für den Besucher spürbar. Die Trennung zwischen Bild- und Ausstellungsraum scheint aufgehoben. Mit seinen Arbeiten legt Olaf Kühnemann nicht nur die Schichten der Malerei, sondern auch der eigenen Biographie frei.