Vom 16. Januar bis 5. März 2016 zeigt die Galerie EIGEN + ART Leipzig 15 neue Arbeiten von Marc Desgrandchamps, einem der wichtigsten Vertreter zeitgenössischer Malerei in Frankreich. In Leipzig wird sein Werk zum ersten Mal präsentiert.
Ein Hauch von Urlaub durchweht die Ausstellung von Marc Desgrandchamps. Ein strahlend blauer Himmel, nur selten durchsetzt von weißen Wolkenschleiern, zieht sich durch alle Bilder und taucht die Szenen, die mal am Strand, mal vor einer hügeligen Landschaft oder vor schroffen Felsen angesiedelt sind, in ein gleichmäßiges Licht. Wie Fotografien, über die ein Filter gelegt wurde, der das klare Licht des Südens verspricht. Die Figuren - Surfer, Badende oder Spaziergänger - sind Spuren von Momenten, komponiert aus Schnappschüssen des Künstlers, aufgenommen während verschiedener Reisen an die Küsten des Mittelmeers, gefundenen Bildern, Motiven aus der Kunstgeschichte und persönlichen Erinnerungsschnipseln. Wer sie sind und wo sie waren, spielt keine Rolle.
Wie auf Folien sind sie in dünn lasierenden Malschichten übereinander gelegt, befinden sich mal vor, mal hinter der sie umgebenden Landschaft, und es kommt vor, dass ein Kopf gar fehlt oder ein Paar Beine isoliert von seinem restlichen Körper im Sand flaniert. Als hätten einzelne Figuren und Formen die Bilder durchwandert, ihre Spuren an einem nunmehr leeren Platz zurückgelassen, um sich in das nächste Bild zu begeben. Der Begriff der Wanderung der Formen, den der Kunsthistoriker Aby Warburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägte, um das Wiederauftauchen antiker Figuren und Posen in Bildern der Renaissance zu erklären, dient hier dezidiert als Referenz.
In die so idyllisch scheinenden Landschaften setzt Marc Desgrandchamps immer wieder Störquellen. Amorphe Gebilde, schwarze schattenartige Streifen, zu denen die Lichtquelle fehlt, verstümmelte Gewächse, die an Formen von Baumstämmen erinnern. Die fließende, dünne Malweise verstärkt den Eindruck der Störung, die Ruhe wird buchstäblich getrübt. Mal sind es bewusst gesetzte Formen, die dazu dienen, die Komposition des sich aufbauenden Bildes auszugleichen, mal sind es Fehler, Relikte von ersten Skizzen und Entwicklungen, die Marc Desgrandchamps im Malprozess korrigiert und revidiert, ohne den ursprünglichen malerischen Gedanken zu überschreiben.
Ein Bild aus der Reihe fängt den Blick ganz unmittelbar: vor einer Bergkette und wieder diesem blauen Himmel im Hintergrund bewegen sich zwei schwarz vermummte Figuren auf die rechte vordere Ecke zu, oder vielmehr ihre Oberkörper, denn die Beine fehlen ab Höhe der Knie. Vor einer weißen Schärpe, die quer über ihre Körper verläuft, zeichnen sich die schwarzen stilisierten Stöcke, die beide in den rechten angewinkelten Armen halten, deutlich ab. Sofort ruft das innere Auge jene Bilder aus Kriegen und Krisengebieten ab, die uns täglich in allen Medien begegnen, eingestreut zwischen Nachrichten aus aller Welt, im Newsfeed platziert zwischen Bikinifotos und Landschaftsaufnahmen, nicht greifbar aber omnipräsent. Gut möglich, dass sie auch mit den jüngsten Ereignissen in Frankreich zu tun haben, sagt Marc Desgrandchamps, eine indirekte Spur der Gewalt, welche die Stimmung unserer Zeit permanent durchzieht, als Rauschen im Hintergrund oder ganz vorne an der Oberfläche.
Es gibt keine eindeutige Wirklichkeit in diesen Bildern, jedes beschreibt für sich eine autonome Realität, in der sich Stimmungen, reelle oder erfundenen Erinnerung und die Spuren von Personen, Gegenständen oder Ereignissen übereinander schieben wie Kulissen. Ein doppelbelichteter Urlaubsfilm in Malerei.
Leonie Pfennig