In der Ausstellung MOST sind neue Werke der in Leipzig lebenden und 1982 in Moskau geborenen Malerin Kristina Schuldt zu sehen. Zum ersten Mal ihre Arbeiten in einer Einzelausstellung in der Galerie EIGEN + ART Berlin präsentiert, nachdem sie 2014 in der Ausstellungsreihe Take Five zu sehen waren.
Kristina Schuldt schöpft aus einem Repertoire an Formen und Stilen, das ihr überall begegnet: bei der Lektüre kunsthistorischer Bildbände über niederländische Genremalerei oder den Konstruktivismus und Kubismus des 20. Jahrhunderts, beim Durchblättern von Klatschzeitungen, beim Beobachten von Menschen auf der Straße mit ihren Smartphones, bei der Arbeit im Garten. Ihre Bilder wecken Erinnerungen an einen bereits gesehenen Kanon, an glattpolierte Körperoberflächen oder wellige Haare der Maschinen-Menschen Fernand Légers zum Beispiel oder an merkwürdig deformierte und multiperspektivische Porträts Pablo Picassos und entwickeln dabei ein Eigenleben und eine Energie, die nicht zuletzt aus dem Einsatz starker Farben wie Pink oder Knallblau entsteht. Die Titel sind zweideutig und irreführend, sie geben eine Richtung vor, ohne zu viel verraten zu wollen. Sie setzt sie ein wie eine zusätzliche Farbe und findet sie, indem sie das Bild noch einmal zurückläuft wie einen Weg, auf der Suche nach dem Auslöser.
In ihren neuen Arbeiten vollzieht sich ein Wandel vom Körper zum Körperteil. Aus den glatten, zerfließenden und verrenkten Frauenkörpern ihrer früheren Bilder sind abstrakt-amorphe Formen geworden, Oberarm oder Bein sind kaum voneinander zu unterscheiden, Ohren finden sich emanzipiert vom Kopf an allen möglichen Stellen wieder, auf Augen oder Münder verzichtet sie gänzlich. Ihre Porträts bezeichnet sie auch als Geister, gesichtslose Wesen oder „Smombies": Smartphone-Zombies, die nur noch auf das Display ihres Handys starren, völlig absorbiert. Leere Sprechblasen umschweben ihre Köpfe und dienen nur noch als reine Form statt zum Transportieren von Inhalten. Das Smartphone, anatomisch perfektioniert und gleichzeitig ständig strahlende Lichtquelle, ist für Kristina Schuldt wie ein faszinierendes neues Körperteil und findet gleich Einzug in ihre Bilder, ein zusätzliches Ohr oder als leuchtende Bodenstruktur mit abgerundeten Ecken in Facing. Was bleibt ist ihre Vorliebe für Röhren, tubische Formen, die in ihren Bildern mal als Beine, mal als vegetabile Ranken oder wulstige Reifen auftauchen.
Als der französische Künstler Fernand Léger im Jahr 1911 von einem Kritiker als „Tubist" bezeichnet wurde, war er damit alles andere als glücklich, hatte er sich doch jahrelang mit allen Mitteln der Malerei gegen den vorherrschenden Impressionismus und die Einordnung unter den Kubismus seiner Künstlerkollegen gewehrt. Auf Kristina Schuldt hingegen trifft der Begriff genau zu. Die röhrenhaften Formen bezeichnet sie als Energiekanäle und Transportmittel, sie geben ihrer Malerei einen ganz bestimmten und ihr eigenen Schwung, einen Flow. Im Bild Große Bäuerin, Teil einer neuen Reihe, in der sie mit erdigen, hautfarbenen Tönen experimentiert, verdichten sie sich zur Figur einer Kriegerin oder Bäuerin, einer starken amazonenhaften Frau mit kräftigen Waden, die in der Kontur eines klobigen Absatzschuhs stecken, und einem massigen Körper, einem wirbelnden Haufen von Formen und strukturierten Farbflächen. Eine diagonale Linie durchschneidet das Bild von links oben nach rechts unten, ein Speer vielleicht oder eine Harke. Ringe sind um ihren kleinen flächigen Kopf platziert, die zwischen heroischem Siegerkranz und Gummi-Schwimmreifen changieren. Es ist dieser immer mitschwingende Witz, ein alles nicht so Ernst nehmen, mit dem sie ihre Bilder behandelt. „Es muss nicht immer alles stimmen", sagt Kristina Schuldt über ihre Bilder, und doch stimmt am Ende alles.