02.05.2008 - 07.06.2008
Das essentielle Thema der Arbeiten von Andreas Siekmann, der zuletzt während der Documenta 12 mit einem vor dem Fridericianum installierten Karussell der Protagonisten exklusiver Gewalt, sowie bei den Skulptur Projekten 07 im Münsteraner Erbdrostenhof mit einer Kugel aus zerschredderten Kunststoff-Stadtwappenmaskottchen große Aufmerksamkeit erregte, ist die Analyse des ökonomischen Paradigmenwechsels von der sozialen Marktwirtschaft hin zum Neoliberalismus sowie dessen Auswirkungen auf Gesellschaft und Stadtraum. Siekmann stellt herrschende Machtverhältnisse kritisch zur Schau und entwirft utopische Gegenmodelle. Seine eigenwilligen, erzählerischen Bildwelten entwickelt er aus kunsthistorischen und massenmedialen Bildreferenzen sowie aus Beobachtungen, die er der Realpolitik entnimmt.
In „Verhandlungen unter Zeitdruck“ thematisiert Andreas Siekmann die Parameter der wirtschaftlichen Umstrukturierung Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung. Die zentrale Koordinationsstelle dieses Privatisierungsprozesses war die Treuhandanstalt, die ihren Sitz im Gebäude des ehemaligen Reichsluftfahrtministerium, im jetzigen Finanzministerium in der Wilhelmstraße hatte, dessen Fassade über einen Außenspiegel in die Räume der Galerie projiziert wird. Die Treuhandanstalt wickelte von März 1990 bis Dezember 1994 13.800 ostdeutsche Betriebe ab, pro Tag 15 Firmen. Die Verwandlung von volkseigenen Betrieben in Kapitalgesellschaften, ihre Inwertsetzung, wurde als Faustpfand einer ökonomischen Konsolidierung betrachtet, als eine Bedingung, dafür, dass die unsichtbaren Hände der Privatwirtschaft ein erneutes Wirtschaftswunder besorgen würden. Die Geschichte der Treuhandanstalt ist somit Teil der Transfomationsökonomie, die zunächst Osteuropa betraf und sich dann global ausbreitete. Ihre Protagonisten, beispielsweise die Investmentbanken und Beratungsgesellschaften, sind heute ein unentbehrlicher Bestandteil politischer Entscheidungsfindungsprozesse, der sich nach den neuen Formen des optionalen Kapitalismus ausrichtet. Das Motto der Arbeit der Treuhandanstalt – „Privatisierung vor Sanierung“ – produzierte als Symptomatik unhinterfragbare Methoden, die durch ihre Alternativlosigkeit eine immer schnellere Abwicklung forderten, die sich bis in aktuelle Regierungstechniken fortsetzen.
Seit 2005 hat Andreas Siekmann diese Geschichte in 20 grafischen Blättern aufgezeichnet. Dabei entwickelte er eine dem politischen Konstruktivismus der Kölner Progressiven der zwanziger Jahre verpflichtete, antisubjektive Piktogrammsprache, mit der er die vierjährige Arbeit der Treuhandanstalt sowohl in numerischen Größen wie auch innerhalb eines zeitlichen Erzählrahmens darstellt. Nach Stationen im Heidelberger Kunstverein und in der Wanderausstellung „Shrinking Cities“ wurde für „Verhandlungen unter Zeitdruck ein Teil dieser ausschließlich mit roter und schwarzer Farbe gestalteter Blätter ausgewählt, um mit Drucken, Scherenschnitten und Gemälden einen „Treuhandraum“ zu gestalten, dessen Zentrum ein Theatrum Mundi bildet.
Ähnlich wie in den mechanisierten Figurentheatern, die bis Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem im sächsisch-thüringischen Raum von invaliden oder entlassenen Bergleuten gebaut wurden und neben Naturkatastrophen und Weltereignissen auch den eigenen ehemaligen Arbeitsplatz nachstellten, führt Siekmanns Theatrum Mundi die „Stationen eines Marktmechanismus“ vor. Auf Laufbänder montiert, führt Andreas Siekmann die Figuren der Abwicklung und ihre Verhandlungspartner an einer Kulisse der Institutionen und Gebäude vorbei, die mit der Treuhand eng verknüpft waren, so zum Beispiel die Quartiere der Beratungsfirmen oder das Staatsratsgebäude, das jetzt die private European School of Management and Technology beherbergt.