„Farbkräftig, informell und vor allem groß“ sind die Bilder von Markus Bacher, so schreibt das Magazin provocateur im Juli 2012. Und ein Kurzinterview beginnt gleich mit der Markttauglichkeit von Bachers Malerei. Man denkt dabei an die Bankinstitute, die großen Foyers und Lofts, in denen die Gemälde wirksam hängen könnten. Dabei zeigt sich das Prädikat „informell“ von seiner besten Seite. So, als hätten die informellen 1950er Jahre keinen konzeptuellen Bruch erlebt und seien durchgängig bis in die Malerei der 1980er Jahre und darüber hinaus in die Gegenwart gewandert - sozusagen Informel als zeitlich unabhängiger, fester WertbegriM wie Meissner Porzellan oder Chanel. Aber ist Bachers sich abstrakt gebende Malerei überhaupt informell, ist sie nicht eher gestisch abstrakt oder abstrakt expressiv oder vielleicht nicht wirklich abstrakt?
Dass der Pinselstrich als abstrakte Geste erstmals zum künstlerischen Ausdruck gelangte, ist ein paar Jahrhunderte her. Die sprezzatura, die Baldassare Castiglione in seinem Libro del Cortegiano beschreibt, die Lässigkeit des Adligen, scheint in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts das Primat des Disegno zu überdecken. Man kann vermuten, dass dies erstmals in der Bildgestaltung des späten Tizian (Palma Giovane: „Tiziano abbozzava la tela con una gran massa di colore …“) auftauchte, in den nur angedeuteten StaMagen von Velázquez, den impulsiven Alla-Prima-Lichtreflexen bei Frans Hals oder den Goldbordüren imitierenden gelben Strichen Rembrandts. Jedenfalls hat die pastose Bildgeste alla prima die westliche Malerei nicht mehr losgelassen, bis mit Turner, Delacroix, Manet und später mit Monet und den anderen Impressionisten eine fast systematische Bildzeugung mit dieser Macchia stattfand, gefolgt vom fast rituellen rhythmischen und dynamischen Pinselinferno van Goghs. Es gab immer wieder neue Gelegenheiten, die Autonomie der Pinselspur ins Licht zu setzen. In den späten Walchenseebildern von Lovis Corinth oder den Bildzerfaserungen bei Kokoschka. Mit dem Nachkriegs-Informel beginnt die breite Bürste das Bild zu zerpflügen wie bei Pierre Soulages oder Franz Kline. Es ist die Verlängerung des Arms, die Energie sichtbar macht. Strich und Innehalten als künstlerische Tat. Ein Heer von informellen Malern wird den Pinselstrich und die abstrakte Geste zum wichtigsten Thema der Kunst machen. Aber dieses Kunstgebäude ist trügerisch. Es stürzt schnell ein und mit ihm die Malerei insgesamt. Die Legitimation von Malerei und mit ihr der „Hunger nach Bildern“ (W. M. Faust) werden erst zwanzig Jahre später zurückkommen.
Markus Bacher ist also vor dem breiten historischen Horizont solcher Malerei zu sehen. Die Unterscheidung in gegenständliche und abstrakte Malerei ist dabei ein Konstrukt der Kunstkritik, das zwar auch einmal Haltung der Avantgarde-Bewegungen war, aber nach der letzten Thematisierung in den späten 80er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, die sich als „zeitlos“ verstand, wie der Ausstellungstitel von Harry Szeemann (1988) nahelegt, schon seit etlichen Jahren obsolet geworden zu sein scheint. Hatte das Informel sozusagen für die Bewegungen des Pinsels auf dem Bild ein eigenes Genre entwickelt, so ist dieses schon lange Teil einer umfassenden Malereigeschichte, in der die jeweiligen Bilder und ihre malerische Bearbeitung ganz unterschiedliche Assoziationen historischer und phänomenologischer Art aufweisen: von de Kooning zu Albert Oehlen, von Cy Twombly zu John Armleder, von Gerhard Richter zu Christopher Wool. Viele dieser Bilder zeigen Informel als Thema einer konzeptuellen Grundnote, in der nicht Perioden gemeint sind, sondern die jeweiligen Strategien. So ist Farbe oft nur das Hintergrundrauschen des Blowups gra fischer Einfälle.
Süddeutschland und Österreich haben über die Jahrhunderte eine eigene Malkultur aus - gebildet. Man denke in Hinblick auf Markus Bacher an die Rokokobilder und -fresken des vom Bodensee stammenden Franz Anton Maulbertsch (nicht zu vergessen den früh verstorbenen gebürtigen Südtiroler Johann Evangelist Holzer), der mit extremer Untersicht tonige Malerei in Lokalfarben au:lühen ließ und mit samtigen Valeurs geheimnisvolle und märchenhafte Orte für mythologische und religiöse Inhalte schuf. Maulbertsch ist farblich quasi der kongeniale Wiener Gegenpart zum Pariser Stillleben-Maler Jean-Baptiste Chardin. Von dessen Kolorit führt eine verzweigte Spur bis zur Fin-de-Siècle-Farbigkeit der Gartenund Landschaftsbilder Gustav Klimts. Es soll aber auch der Maler einer jüngeren Generation nicht vergessen werden, der in seinen rezenten fast abstrakten Alpenbildern eine eigene malerische Handschrift gefunden hat, Herbert Brandl. So oder ähnlich ließe sich das Umfeld des Malers Bacher abstecken, denn seine Malerei ist zu eigenwillig, um sich auf Einflüsse reduzieren zu lassen. Seine Farbformationen lassen sich nicht annähernd beschreiben. Das Medium der Sprache bleibt im eigenen System befangen. Sie bildet ein kompliziertes Analogon zu dem, was die Bilder eindrucksvoll und klar zum Ausdruck bringen. „Malen ist ja eine andere Art des Redens“, sagt Bacher im eingangs zitierten Interview. Die Wirkung des gesprochenen und geschriebenen Wortes ist umso besser, je mehr sie sich von der Beschreibung des Bildmediums entfernt und die Regeln ihres eigenen Systems einhält. Die Kunstgeschichte entfernte sich immer wieder vom Wesentlichen, indem sie sich vor allem mit der Ikonografie einer Abbildung befasste. Sie war dann erfüllt damit, Ikonografie als Wesen festzustellen, sozusagen als Hinter-Sinn des Bildes. Aber Ikonografie zu sehen, ist nicht möglich. Umgekehrt sind die Apologien der Kunstkritiker, die sich über abstrakte Malerei auslassen. Da gibt es dann keinen essenziellen inhaltlichen Sinn wie bei den Ikonografen, sondern die Laudatio auf die Reinheit und Würde von Malerei an sich.
Jedes Bild bei Markus Bacher hat eine eigene Disposition, sowohl formal als auch farblich. Doch sind die Komponenten nicht voneinander zu trennen. Es gibt Motive, die aus einem Grundton - Blau, Gelb oder Weiß - bestehen, dann wieder Leinwände, die in der Gegenüberstellung von lokalen und tonigen Farben räumliche Welten au:auen. Bei Markus Bacher geht es darum, die farbige Erscheinung als etwas zu verstehen, das nicht in sich aufgeht. Ein numinoser Bedeutungsgehalt schimmert auf, bleibt in der Schwebe. Man ist versucht zu glauben, dass im Moment der Identifikation von farbiger Erscheinung mit ihrem Farbkörper die künstlerische Einheit an Energie verlöre. Dazu kommt es nicht. Der Pinselstrich, oft in horizontalen breiten Lagerungen, in einem sich überdeckenden Nebenein - ander, mit Untermalung oder ohne, hin und wieder als Arpeggio, dann wieder als Staccato des Pinsels, und mitten in der großen Bewegung feine Farbschnörkel, die eine Stelle inselhaft bezeichnen. Eine Skala von Rot- und Brauntönen, Kastanie, Zimt, Olivfarben, Caput mortuum, Ziegel, Kamelie, dazu helles Gelb und das intensive Blau des Himmels oder das Weiß der Schneebretter im Gebirge. Das Sezessionistische der Farbe ergibt keine Impression, sondern formt simultan Ausschnitte aus einem Kontinuum, die physisch wie psychisch ineinander verschlungen sind. Das Prädikat Landschaft ist allgegenwärtig und hierin besonders die Alpenwelt, die das Zuhause des Künstlers ist. Aber auch das Wasser - Seen, das Meer - drängt sich der Assoziation auf. Mal als Vogelschauveduten im Sinne Kokoschkas, dann wieder als Segmente und Fragmente von Nahsicht: die hellen Steinflecken des Gebirgsbachs, die bemoosten Felsen, das dunkle Waldinnere, wie es Carl Schuch gesehen hat. Aber die Vehemenz des Pinselstrichs erzeugt oft andere Bilder, so als führen SchiMe auf diesen Gewässern, als bewegten sich Fahrzeuge auf Straßen oder stünden Figuren in der Landschaft - Freunde, Verwandte, vielleicht auch Perchten mit großen Hüten. Ein Gemälde hat den Titel Die Bertha, nach jener legendären Kurzkanone aus dem Haus Krupp. Ebenso könnte man in der Schichtung eines anderen Bildes, Cloud Atlas, die Seeschlacht von Tsushima aus dem russisch-japanischen Krieg nachempfinden, die hohen Schiffsaufbauten, ihre Geschütztürme, die brennenden Au:auten, den Widerschein im Wasser. Markus Bachers abstrakte Veduten ziehen den Betrachter in ein Wechselbad von Empfindungen zwischen ungewöhnlicher farbiger Präsenz und Erinnerungen an Motive und Stimmungen aus der Natur, der Kunst und der Reproduktion. Der ungestüme Geist der Skizze, der sich zum Panorama erhebt. Die vibrierende Nähe eines Pulsierens, das zum erregten Ausdruck großer Einheiten anschwillt.
In Kandinskys Bibliothek befindet sich Rudolf Steiners Buch Theosophie (1904). Im Kapitel „Geisterland“ hatte sich der russische Künstler mehrere Passagen angekreuzt: Dieses Land, so Steiner sei ,,aus dem StoMe gewoben (...), aus dem der menschliche Gedanke besteht. (...) Man denke sich das Bild eines Malers im Geiste vorhanden, bevor es gemalt ist.“ Für den, der den äußeren Sinnen vertraue, seien diese Urbilder nur Abstraktionen, der geistig Schauende jedoch sei damit so vertraut wie mit Hund und Katze. Die Urbilder seien rasch wechselnd, nähmen unzählige Gestalten an und seien klingend. Kandinsky markierte folgende Passage dreifach: „Was in der physischen Welt der Verstand als Gesetz, als Idee wahrnimmt, das stellt sich für das ‚geistige‘ Ohr als ein Geistig-Musikalisches dar. Das Leuchtende ist immer auch ein Klingendes.“ In einem anderen Text Steiners, der auf Vorträge über die Theosophie des Rosenkreuzers zurückgeht, ist von der Akasha-Chronik die Rede, der in einer geistigen Region, dem Devachan, gelagerten Speicherung des gesamten menschlichen Wissens. Dort ist in einem Gebiet auch als Äußeres vorhanden, was bei uns im Inneren als Freud, Leid, Lust und Schmerz lebt: „Es wird hier zum Beispiel eine Schlacht geschlagen. Kanonen, Gewehre und so weiter (…). Aber innerhalb der Wesen hier auf dem physischen Plan ist vorhanden gegenseitiges Rachegefühl, Schmerz, Leidenschaften.“ In Kandinskys Über das Geistige in der Kunst spricht der Künstler in ähnlicher Weise von der geistigen Atmosphäre von Morden, Gewalttaten, Feindseligkeiten, Egoismus usw. als „die Atmosphäre schaMenden geistigen Wesen“ (zit. n. V. L. [Hg.], Okkultismus und Avantgarde, Kat. Ausst. Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. 1995, S. 251). Was die Realität in das Innenleben als Emotion verbannt, das kann der Maler sichtbar werden lassen, als sei es fester Bestandteil unserer Welt.
Betrachtet man Markus Bachers farbige Gespinste, dann kann man sie als Gespinste von Etwas begreifen, von Substanzen, die eine sichtbare und eine unsichtbare Welt der Gefühle und Emotionen erstellen. Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat in seinen unnachahmlichen Defi nitionen das Werden als die „Ungetrenntheit des Seyns und Nichts“ (Wissenscha der Logik I, Erstes Kap., C., Anm. 4) bezeichnet. Werden kann Entstehen und Vergehen sein. Die Bilder Bachers haben ihr anschauliches Potenzial in diesem Auf und Ab. Sie sind im Fluss.
Veit Loers